Dezembergeheimnis
nichts dafür konnte. Dennoch war es die Wahrheit und ihr war klar, dass es keinen anderen Weg gab.
Als sie es Minuten später nicht mehr aushielt, fragte sie leise: »Kannst du eine eigene Persönlichkeit entwickeln?«
Noel blickte schweigend an ihr vorbei. Er wirkte, als hätte sie ihm des Sinns seiner Existenz beraubt; verloren und hilflos.
»Ich weiß es nicht«, sagte er und seine sanfte Stimme war dabei ganz leise. »Aber ich möchte es probieren.«
Dann drehte er den Kopf und sah sie mit seinen strahlenden Augen an. Unweigerlich musste sie schlucken.
»Für dich, Lea. Weil ich dich und dein Lächeln wirklich sehr mag«, fügte er hinzu. Er klang dabei so aufrichtig, dass ihr Herz bei seinem Kompliment das erste Mal anfing, richtig zu flattern. »Wenn du sagst, ich brauche das, um dich glücklich zu machen und um deinen Wunsch zu erfüllen, dann tue ich es.«
Dankbar konnte Lea nicht anders, als ihn anzulächeln, wusste sie doch, dass das die einzige Antwort war, die sie im Augenblick von ihm erwarten konnte. Und sie gab sich damit zufrieden – für den Moment.
»Aber Lea, ich verstehe dich nicht ganz«, fuhr er fort, während er sich ein Stück zu ihr beugte und die Schüssel auf den Tisch stellte.
»Noel, glaub mir: Gefühle sind nicht echt, wenn sie von jemanden kommen, der keine eigene Persönlichkeit hat.«
»Nein, Lea. Das habe ich begriffen. Aber nicht alle Wörter … Was ist ein Kazäntüp?«
Fassungslos starrte sie ihn an und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, bis ein Lächeln siegte. Er würde es durch diese Art wohl immer schaffen, solchen Situation die Stimmung von Leben und Tod zu nehmen. Wortlos und mit klammen Beinen stand sie auf, trat an ihr Regal heran und drückte ihm ein dickes Buch in die Hand.
»Du kannst ja lesen, oder?«
Er bestätigte, so überließ sie ihm zufrieden das Werk und sank zurück auf ihren Platz. Noel musterte es neugierig.
»Was ist das?«
»Ein Lexikon.« Lea lächelte. Sie merkte, dass sie sehr viel erleichterter darüber war, dass er nicht mehr ganz so verletzt wirkte, als darüber, dass sie endlich klar Schiff gemacht hatte. »Darin werden alle Wörter erklärt. Es ist alphabetisch geordnet. Kannst du das Alphabet?«
»Ja, das kann ich.«
Nachdenklich beobachtete sie ihn, während er langsam durch die Seiten blätterte.
»Ich weiß nie, ob du etwas beherrschst oder nicht.«
»Was? Warum nicht?« Verwundert sah er auf. Sobald sich ihre Blicke kreuzten, lächelte er. Es tat gut, diese kleine Geste wieder zu sehen, konnte sie doch jetzt beruhigt davon ausgehen, dass der miese herzbrechende Teil überstanden war.
»Na ja, du weißt nicht, was ein Fernseher ist, kannst aber lesen? Kannst du auch schreiben?«
Noel nickte und zuckte mit den Schultern. »Das gehört zur Standardausrüstung.«
»Bitte, was? Standardausrüstung? Gibt es da draußen etwa noch mehrere … so wie du?«
»Nicht viele«, verneinte er und grinste. »Es wünschen sich nicht unbedingt massenhaft Leute einen Traummann zu Weihnachten. Also so richtig, mit Wunschzettel und allem.«
Lea wurde rot und setzte bereits an, sich zu verteidigen, doch gab von vornherein auf. Was sollte sie schon groß drum herum reden? Stattdessen versuchte sie, das Thema möglichst unauffällig von sich abzuwenden.
»Was kannst du noch?«
Abermals zuckte Noel mit den Schultern und wieder schien er sich nicht mehr wohl in seiner Haut zu fühlen.
»Ich kann es nicht aufzählen. Das kommt entweder automatisch – oder eben nicht.« Abwartend sah er sie an.
»Aber du kannst lernen?«
Er nickte.
»Ich lerne sehr schnell. Ich vergesse nichts.«
»Wie nichts? Gar nichts?«
Er lächelte, schüttelte den Kopf und schien das erste Mal fast ein wenig stolz. »Gar nichts.«
»Tja … «, erwiderte Lea langgezogen. »Okay. Das sind doch ganz gute Startbedingungen.«
»Das hoffe ich.«
Sie ließ ihn ein paar Minuten im Lexikon lesen und blättern, allein schon, damit sich die Aufregung etwas legen konnte. Es schien mehr, als hätte er einen Roman in der Hand anstatt eines Dudens. Lea gönnte sich den Augenblick, um still und heimlich sein schönes Gesicht zu bewundern.
»Glaubst
du
denn, dass ich es schaffen kann?«, fragte Noel mit einem Mal, seine Augen weiter starr auf das Buch gerichtet. Lea zögerte, schluckte, griff aber schließlich nach seiner Hand.
»Würde ich das nicht, hätte ich dich schon heute früh vor die Tür gesetzt.«
Er schloss die Lider für einen Moment, bevor
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