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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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antwortete sie etwas hilflos.
    Das Mädchen lachte, drückte ihr einen polierten Holzlöffel in die Hand und deutete auf die Suppe. Dann beugte es sich kurz über Nati und rief etwas quer durch den Raum. Sofort kam eine ältere Frau herüber, die einen der Ärzte hinter sich herzog. Beide sahen Nati besorgt an, schüttelten dann aber erleichtert den Kopf.
    »Nein, nein, das Kind ist krank, nicht tot, das arme kleine Häschen!«, verstand Lore. Der Arzt untersuchte Nati und gab schnell ein paar Anweisungen, dann hastete er weiter zu dem nächsten Patienten.
    Die Frau, die Krankenschwester zu sein schien, entkleidete Nati bis auf die feine Unterwäsche, massierte sie und frottierte sie anschließend mit rauhen Tüchern, um ihre Lebensgeister wieder zu wecken. Das Kind, das die Suppe gebracht hatte, half ihr, doch es starrte zwischendurch immer wieder Lore an. Plötzlich griff es nach dem Kruzifix, das Lore aus dem Ausschnitt gerutscht war, und rief etwas, was sich anhörte wie »He, die ist ja katholisch!«.
    Lore erschrak heftig, denn sie sah einen Haufen neuer Schwierigkeiten auf sich zukommen. In England, so hatte Hochwürden Hieronymus Starzig ihr erklärt, galten Katholiken als Ver räter an der Krone und wurden wegen ihres Glaubens und ihrer Treue zum Papst in Rom ins Gefängnis geworfen.
    Lore konnte sich zwar nicht vorstellen, dass man auch mit einer armen Schiffbrüchigen wie ihr so verfahren würde, doch sie konnte nicht wissen, was in den Köpfen der Engländer vorging. Dabei trug sie das Ding eigentlich nur, weil ihr Großvater es ihr befohlen hatte und es das einzige Schmuckstück war, das sie besaß. Sie merkte, wie sie zitterte, als einer der uniformierten Beamten prompt auf sie zukam.
    »Sie sind Katholikin, Missff«, fragte er in einem überdeutlich artikulierten Englisch. Lore nickte und presste die Hand auf ihr hart klopfendes Herz.
    »Oh! Das ist gut!«, antwortete der Mann, drehte sich um und rief nach dem Hafenarbeiter, der Lore in die Halle getragen hatte.
    »He, Joe Penn! Du hast doch gesagt, du könntest eine Frau oder ein Kind in deinem Hasenstall aufnehmen! Hier sind zwei, die du sicher leicht unterbringen kannst. Das kleine Mädchen ist von deutschem Adel und die Miss hier sein Kindermädchen! Die Familie der Kleinen wird dir sicher eine hübsche Belohnung zukommen lassen, wenn du das Kind gut versorgst! Bei deinen vielen Mäulern zu Hause könntest du das Geld gut brauchen!«
    Lore hatte Mühe, dem halbzerquetschten Englisch zu folgen, aber zu ihrer eigenen Verwunderung begriff sie den Sinn seiner Worte und genierte sich für diese grobe Direktheit. Der Arbeiter aber grinste nur und schlenderte heran. Unterdessen wandte der Beamte sich wieder an Lore und versuchte ihr mit einfachen und deutlich ausgesprochenen Worten zu erklären, was geschehen würde.
    »Es ist eben beschlossen worden, alle Schiffbrüchigen, die nicht im Great Eastern Hotel Platz finden, bei Bürgern in Harwich unterzubringen. Es haben sich genug Familien dazu bereit erklärt, jemand aufzunehmen und zu versorgen. Als Katholikin wirst du sicher gerne bei einer braven, katholischen Familie leben wollen, bis du dich wieder erholt hast und die Weiterreise geklärt ist.«
    Lore nickte etwas verwirrt, fasste sich aber schnell und fragte den Beamten, ob er für sie eine Nachricht an den Repräsentanten des Norddeutschen Lloyd aus Bremen in London schicken könne.
    »Es ist sehr wichtig, bitte! Es geht um die kleine Komtess, für die ich sorge. Sie ist die Erbin eines der Gesellschafter, und ihr Vormund gehört ebenfalls zur Reederei. Er muss ganz dringend verständigt werden. Verstehen Sie mich, eh … Misterff« Lore hoffte, dass er mit ihrem ungelenken Englisch etwas anfangen konnte.
    Der junge Beamte lächelte ihr aufmunternd zu und nickte. »Smithson ist mein Name, Miss … Miss Huppach«, antwortete er sehrfreundlich. »Sie sprechen ein schönes Englisch, wirklich gut, ja! Sagen Sie mir, was ich schreiben soll, und ich schicke es mit der offziellen Post an die deutsche Reederei nach London.«
    Lore atmete auf und wagte selbst ein erstes, scheues Lächeln. »Ich danke Ihnen sehr! Die Nachricht geht an einen Herrn Thomas Simmern …«
    Der nette Beamte notierte sich den Text in Englisch und bat sie dann, ihn wegen der unvermeidlichen Verständigungsschwierigkeiten noch einmal auf Deutsch zu schreiben.
    Da Lore Vertrauen zu dem Beamten hatte, fasste sie Mut und bat ihn, die Botschaft vor jedermann sonst geheim zu halten, da das

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