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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Leben der Komtess in Gefahr sei.
    Smithson versicherte ihr, dass außer ihm niemand die Notiz zu Gesicht bekomme, bis sie beim Empfänger angelangt sei. Aber sein ein wenig befremdeter Gesichtsausdruck und das mitleidige Lächeln verrieten Lore, dass er ihr nicht glaubte, sondern sie im besten Fall für hysterisch hielt. Er winkte den Hafenarbeiter heran, bei dem Nati und sie wohnen sollten, und wandte sich dann dem nächsten Geretteten zu.
    Eine Viertelstunde später lag Nati dick verpackt in einer Art großem Wäschekorb und wurde von einer stämmigen, älteren Frau und einem etwa vierzehn Jahre alten Jungen durch die Straßen getragen. Lore war von der Frau kurzerhand in eine Decke aus Sackleinen gewickelt und dem Mann übergeben worden, der sie hinterherschleppte.
    Jetzt erst fiel Lore auf, dass sie Ruppert seit dem Verlassen der
Liverpool
nicht mehr gesehen hatte. Ein Teil von ihr hoffte, dass er seine Pläne bezüglich Natis in diesem fremden Land aufgegeben hatte, doch letztlich glaubte sie selbst nicht daran. Während des ganzen Weges starrte sie über Joe Penns Schulter, um sicherzugehen, dass Ruppert ihnen nicht heimlich folgte. Die Straßen wurden immer schmäler und die Häuser kleiner und ärmlicher, unddie ganze Zeit über konnte sie niemanden sehen, der Ähnlichkeit mit Natis Verwandtem hatte. Einige Ecken weiter atmete Lore erleichtert auf. In diesem Gewirr von Gassen würde Ruppert Nati und sie nicht wiederfinden.

XI.
     
    Im fernen Ostpreußen sorgten der Tod und vor allem die Beerdigung Wolfhard von Trettins für mehr Aufsehen, als der alte Herr es wohl selbst erwartet hatte. Kaum erfuhr der evangelische Pastor, dass der vertriebene Gutsherr den Glauben gewechselt hatte und katholisch geworden war, verbot er, den Toten in der Familiengruft derer von Trettin zu begraben, und untersagte den Mitgliedern seiner Kirchengemeinde, an dem Begräbnis teilzunehmen. Selbst dem Totengräber wurde verwehrt, ein Grab für Lores Großvater auszuheben.
    Als Kord von diesen Anweisungen hörte, ballte er wütend die Faust und schwor, lieber selbst katholisch zu werden, als seinen Herrn auf dem letzten Weg im Stich zu lassen. Und so schaufelte er persönlich die Grube für den Verstorbenen im hintersten Winkel des Friedhofs, der für Landstreicher und Mitglieder des fahrenden Volkes vorgesehen war, welche der Tod im Gebiet der Gemeinde ereilte.
    Zusammen mit der alten Miene, deren Treue zum alten Herrn ebenfalls die Angst vor Ottokar von Trettin und dessen Frau Malwine überwog, war Kord der Einzige aus dem Dorf Trettin, der dem schlichten Fichtensarg des alten Herrn folgte, den dessen Freund Doktor Mütze besorgt hatte. Auch der Arzt ließ es sich nicht nehmen, von seinem Freund Abschied zu nehmen. Mit ihmkamen seine Frau, Fridolin von Trettin und der Fuhrunternehmer Wagner aus Heiligenbeil.
    Glaubte das kleine Grüppchen der Trauergäste zunächst, sie wären neben Hochwürden Hieronymus Starzig die Einzigen, die der Beerdigung des alten Herrn beiwohnen würden, sahen sie bald verblüfft, dass Kutschen und Schlitten aus der Nachbarschaft vor dem Friedhof hielten. Viele alte Bekannte des alten Freiherrn hatten sich an den Grundsatz erinnert, dass mit dem Tod alle Feindschaft endet. Einige von ihnen, mit Graf Elchberg an der Spitze, trauerten bereits jenen Tagen nach, an denen der Tote noch auf Gut Trettin geherrscht hatte. Mit seinem engherzigen Nachfolger kamen sie nicht zurecht. Daher sprachen sie Fridolin von Trettin, dem einzigen Verwandten des Verstorbenen, aus ehrlichem Herzen ihr Beileid aus. Ihn trafen aber auch etliche fragende Blicke, denn die Trauergäste hatten erwartet, auch Lore hier zu sehen.
    »Was ist eigentlich mit Nikas’ Enkelin? Ist sie krank, weil sie ihren Großvater nicht mit zu Grabe trägtff«, fragte Graf Elchberg Fridolin geradeheraus.
    Der junge Mann zuckte bedauernd mit den Achseln. »Ich weiß nicht, wo Lore steckt. Ich hatte geglaubt, Doktor Mütze habe sich ihrer angenommen, damit sie nicht mit dem Toten allein im Jagdhaus bleiben muss. Aber bei ihm ist sie nicht. Vielleicht hat sie sich in ihrer Not nach Trettin geflüchtet, und Ottokar verbietet ihr, an dem Begräbnis teilzunehmen.«
    In den missbilligenden Mienen las Fridolin, dass die meisten seinem Vetter diesen Schurkenstreich zutrauten. Dann aber schüttelte er selbst den Kopf über seinen Verdacht. Lore war ein findiges Mädchen und hätte sicher einen Weg gefunden, zur Be erdigung zu kommen. Es sei denn, schränkte er

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