Dezembersturm
Seite, nahm ihr den Feldstecher ab undblickte selbst hindurch. »Da ist beinahe die ganze Nachbarschaft versammelt! Na ja, wenn die glauben, sich wegen meines Onkels in die Kälte stellen zu müssen, soll es ihnen unbenommen sein. Hinterher werden sie froh sein, sich hier auf Trettin mit einem steifen Grog aufwärmen zu können. Malwine, weise die Köchin an, sie soll alles für die Gäste bereitstellen. Herr Pastor, Sie bleiben doch noch? Bitte erklären Sie den Damen und Herren, dass mein Gewissen es nicht zugelassen hat, einem vom Glauben abgefallenen Mann ans Grab zu folgen!«
Ottokar von Trettin war davon überzeugt, die Nachbarn, die seinem Onkel das letzte Geleit gaben, würden hinterher zum Gutshof kommen. Umso enttäuschter war er, als die Trauergäste nach der Beerdigung ihre Kutschen und Schlitten bestiegen und den Rückweg antraten, ohne ihm und seiner Frau ihre Aufwartung zu machen.
»Das ist ein Affront, den ich mir nicht gefallen lassen werde«, schimpfte er und wurde dann durch eine junge Magd gestört, die schüchtern an die Tür klopfte.
»Was ist?«
»Die Köchin lässt ausrichten, dass alles für den Grog bereitsteht!«
»Wir brauchen keinen Grog, und jetzt verschwinde!« Malwine griff nach dem Stock, den sie nie lange aus den Händen ließ, doch die Magd schoss bereits erschrocken davon. Wütend hieb Malwine durch die Luft und funkelte den Pastor an.
»Daran sind Sie schuld! Sie hätten die alte Miene zum Schweigen bringen müssen. Aber das Weib plärrt immer noch im halben Landkreis herum, mein Mann sei am Tod seiner Cousine und deren Familie schuld, weil er sie nicht geweckt habe. Dabei war er zu dem Zeitpunkt auf dem Weg nach Königsberg. Weiß der Teufel, wen diese alte Hexe zu sehen geglaubt hat. Mein Mann war es jedenfalls nicht.«
Es war gut, dass der Pastor in dem Moment die Gutsherrin anblickte und nicht den Gutsherrn.
Ottokar war bleich geworden, und seine Augen flackerten. Für einen Augenblick schlug er sogar die Hände vor das Gesicht. Er wusste nur zu gut, wie der Brand beim Lehrerhaus entstanden war, und in trüben Augenblicken glaubte er den Ruf »Mörder!« zu hören.
Er schüttelte diesen Gedanken wie schon so oft rasch ab und gesellte sich wieder zum Pfarrer. »Es muss etwas geschehen! Wenn Miene diese Lüge noch einmal erzählt, lasse ich sie aus ihrer Kate weisen, und es ist mir dabei vollkommen gleichgültig, ob es Stein und Bein friert und der Schnee klafterhoch liegt.«
»Kord muss auch weg!«, setzte Malwine zornrot hinzu. »Die beiden haben sich auf die Seite des Onkels meines Mannes geschlagen und müssen nun die Konsequenzen tragen.«
Dem Pastor lag auf der Zunge, um Milde für Miene und Kord zu bitten, doch als er in die erregten Gesichter des Gutsbesitzerpaares blickte, ließ er es sein. Gott war gnädig und würde sich der zwei alten Menschen annehmen, und wenn nicht, dann war es gewiss der Sünden wegen, die die beiden auf sich geladen hatten.
»Florin, wo bist du?«, rief unterdessen der Gutsherr mit lauter Stimme.
Kurz darauf kam der Kutscher herein und verbeugte sich. »Sie belieben zu befehlen, Herr von Trettin?« Florin sah Ottokar von Trettin dabei nicht an und wich auch sonst dessen Blick aus.
Seinem Herrn fiel das jedoch nicht auf. »Lass anspannen! Ich will zum Jagdhaus meines Onkels fahren und sehen, in welchem Zustand er es mir hinterlassen hat. Außerdem werde ich Lore mitbringen. Die Wirtschafterin soll eine Kammer für sie herrichten lassen.«
»Dieses Ding kann mit den anderen Mägden in der Küche schlafen«, giftete Malwine.
Ihr Mann hob beschwichtigend die Rechte. »Wir müssen auf unser Ansehen achten, meine Liebe. Lore ist leider Gottes unsere Verwandte. Es gäbe ein schlechtes Bild ab, würden wir sie vor allen Leuten wie eine x-beliebige Dienstbotin behandeln.«
»Was Besseres ist sie auch nicht!« Malwine schüttelte die Fäuste, doch auch sie begriff, dass es besser war, den Schein zu wahren. Insgeheim schwor sie sich aber, Lore zu zeigen, wo deren Platz war.
Unterdessen sah ihr Mann, dass Florin noch immer im Raum stand. »Du sollst anspannen lassen!«, wies er den Kutscher zurecht.
Florin zeigte mit bleicher Miene nach draußen. »Es kommt ein Schneesturm auf, Herr von Trettin. Wenn wir da hineingeraten, besteht die Gefahr, dass die Pferde stecken bleiben, ganz gleich, ob wir nun die Kutsche nehmen oder einen Schlitten.«
Voller Erregung eilte Ottokar zum Fenster und blickte zu den dunklen, tiefhängenden Wolken auf. Es
Weitere Kostenlose Bücher