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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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kommen. Statt eine Antwort auf Rupperts Frage zu geben, legte er ihm die Hand auf die Schulter und wollte offenkundig Geld.
    Ruppert schob ihn scheinbar angewidert weg und beschimpfte ihn aufgebracht. Doch Lore entging nicht, dass der Mann mit einer schnellen Bewegung einen dunklen, flachen Gegenstand in Rupperts Tasche schob, ehe er unter dem Stoß zurücktaumelte und sich mit einem Platsch in den Dreck setzte.
    Lore begriff, dass sich vor ihren Augen ein Theater abspielte, das wohl dazu diente, die Übergabe einer Botschaft oder einer Geldsumme zu verschleiern. Auf diese Weise also ging Ruppert von Retzmann seinen dunklen Geschäften ganz frech unter den Augen der Öffentlichkeit nach.
    Nun stieß der Eckensteher eine wilde Schimpfkanonade aus und schüttelte die Faust, und als seine Freunde drohend näher kamen, schwang Ruppert sich mit einem Satz auf den Bock und befahl dem Kutscher, die Pferde anzutreiben. Noch in Sichtweite der her untergekommenen Gestalten ließ er wieder anhalten und fragte einen vorbeikommenden Bürger nach dem Weg. Doch derName des Ortes, den er suchte, klang jetzt ganz anders als bei dem Eckensteher.
    Der Mann erklärte bedauernd, dass er diesen Ort nicht kenne, und Ruppert brummte ein knappes Danke. Dann fuhr die Kutsche wieder an, bog an einem kleinen Marktplatz ab und rollte in eine andere Richtung.
    Lore sah das zufriedene Grinsen, mit dem ihr Bewacher die Szene beobachtet hatte, und fragte sich, in welche faulen Geschäfte dieser Ruppert hier in England verwickelt sein mochte. Er sprach Englisch so flüssig wie ein Einheimischer und ging mit den Leuten um, als wäre er hier zu Hause. Lore wurde er immer unheimlicher, und ihr Mut sank mit jedem Meter. Wie es aussah, hatte sich alles gegen sie und Nati verschworen.
    Die Kutsche verließ nun den Ort und fuhr auf das flache Land hinaus. Hier gab es nur Felder, die unter einer leichten Schneedecke lagen und von winterdürren Hecken gesäumt wurden. Vereinzelte Gehöfte duckten sich spielzeughaft unter kahlen Bäumen, und nur die Rauchfahnen, die aus den Kaminen aufstiegen, zeugten davon, dass hier Menschen lebten. Die Landschaft war von beinahe schwindelerregender Weite, frei von größeren Hindernissen, so dass jeder Mensch und jedes Fuhrwerk von weitem gesehen werden konnten. Hatte sich Lore in der Stadt noch eine kleine Chance ausgerechnet, Ruppert und seinen Helfershelfern entkommen zu können, so fühlte sie sich jetzt wie ein Grashüpfer im Spinnennetz, der darauf wartet, alsbald ausgesaugt zu werden.
    Außer ihnen war kein anderes Fuhrwerk auf dieser Straße unterwegs, und schon bald kämpfte Lore mit dem Gefühl, als bewegten sie sich auf das Ende der zivilisierten Welt zu. Über ihr wurde der Himmel langsam dunkel, während sich der Westen glühend rot färbte, als versuche die untergehende Sonne, sich noch ein letztes Mal durch die Wolkendecke zu brennen. In dem blendenden Zwielicht tauchte das breitere Band einer Überlandstraße auf, diesich im spitzen Winkel mit dem schmalen Weg vereinte. Wenige Meter dahinter stand ein Haus direkt an der Straße, und dort versperrte eine Schranke den Weg. Ein Mann trat aus dem Gebäude und sah der Kutsche entgegen.
    Für einen Moment schöpfte Lore Hoffnung. Wenn sie sich bemerkbar machen konnte, würde der Mann Zeuge sein und aussagen können, dass in dieser Kutsche ein kleines Kind mitgefahren war. Dazu musste sie Nati zum Schreien oder zumindest zum lauten Weinen bringen. Dann gäbe es wenigstens jemanden, der den NDL-Leuten einen Hinweis geben könnte. Aber diese Hoffnung zerschlug sich schneller, als sie aufgekeimt war. Die Kutsche fuhr im Schritttempo auf die Straße zu, wendete scharf und fuhr in die andere Richtung. Zudem schien der Mann am Schlagbaum Ruppert oder seine Leute zu kennen, denn er hob die Hand, winkte und rief etwas, das von dem Kutscher lachend beantwortet wurde. Kurz danach verließ die Kutsche die Straße und bog in einen Weg ein, der zu einem ummauerten Grundstück führte. Lore sah das Dach eines größeren Hauses durch die kahlen Baumkronen schimmern und begriff, dass dies ihr Ziel war.
    Als die Kutsche sich der Toreinfahrt näherte, öffnete ein vierschrötiger Mann in der Kleidung eines höheren Bediensteten das Gittertor. Ein wie ein gewöhnlicher Lakai gekleideter Mann versuchte, vier hässliche, große Hunde zum Schweigen zu bringen. Die Tiere veranstalteten einen Höllenlärm und brachten mit ihren wilden Sprüngen beinahe den Zaun ihres Zwingers zum

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