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Dezembersturm

Titel: Dezembersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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eine Sandbank gesetzt hätte, wäre alles längst erledigt, und wir könnten jetzt gemütlich in unserem neuen Hauptquartier sitzen und unsere Kröten zählen. So aber ist der ganze schöne Plan zum Teufel gegangen, und ich muss noch einmal eine größere Summe aufwenden, um unsere alten Geschäftspartner zu ködern. Aber sobald wir sie nicht mehr brauchen, werden wir sie ebenso auf die lange Reise schicken wie jene geldgierigen Beamten!«
    Ein triumphierender Ausruf drang von unten herauf. »Auf die Reise ohne Wiederkehr sozusagen! Na, mich freut’s! Diese Trottel hätten doch beinahe die Lieferung an die Serben den Schnüff ern in die Hände fallen und mich hochgehen lassen! Ist die neue Ladung auch für den Balkan bestimmt? Man munkelt, die Bulgaren würden einen Aufstand gegen die Osmanen planen.«
    »Das pfeifen ja schon die Spatzen von den Dächern! Aber mit diesem Aufstand haben wir nichts zu tun. Die Bulgaren lassen sich lieber von den Russen beschenken, als selbst Geld auszugeben.«
    Lore hörte, wie der Edwin genannte Mann höhnisch auflachte. »Was sind schon die lächerlichen russischen Flinten gegen gute amerikanische Rifles! Das Zeug taugt doch nichts! Wir haben eine Lieferung bester Maschinengewehre und leichter Artillerie aus den Staaten bekommen, die bestens für berittene Freischärler geeignet sind.«
    »Das ist genau das Zeug, das ich erwartet habe«, antwortete Ruppert aufatmend. »Ich denke, die Abessinier werden zufrieden sein – zumindest dann, wenn wir unseren Termin einhalten können. Nimm alles mit nach Dover.«
    »Nach Dover? Chief, was soll das Zeug denn in Dover?«, fragte Edwin verblüfft.
    »Wir werden auch weiterhin die Ware nicht von dem Hafen aus losschicken, in dem wir sie übernommen haben. Deshalb lasse ich sie von jetzt an von Southampton aus mit Fischerbooten nach Dover bringen und dort umladen. Von dort schaffen wir sie nach Le Havre und an Bord eines französischen Dampfers, der sie über das Mittelmeer und den Suezkanal nach Ostafrika transportiert. Die Fracht, die eigentlich für Montenegro bestimmt war, habe ich nach dem Ärger mit unseren Londoner Geschäftspartnern an den guten Kaiser Johannes IV. von Abessinien verkauft. Er bezahlt dafür mit so unverfänglichen Waren wie Elfenbein, Straußenfedern und äußerst edlen Steinchen! Unsere Lieferanten werden sehr zufrieden sein, schätze ich.«
    In diesem Moment warf Lores Bewacher die Tür zu. »Du solltest keine so langen Ohren machen, das ist nicht gesund«, meinte er dabei spöttisch.
    Lore war klar, dass Ruppert niemals so ungeniert von seinen Plänen gesprochen hätte, wenn er bereit gewesen wäre, sie nach Nathalias Tod laufenzulassen. Auch wenn sie höchstens die Hälfte verstanden hatte, hatte sich das verfestigt, was sie bereits geahnt hatte: Natis Vetter war in üble Geschäfte verstrickt und ging dabei völlig skrupellos vor.
    Ein Rippenstoß ihres Bewachers beendete ihre Überlegungen und rief sie in die Gegenwart zurück. Voller Ekel starrte sie in den Raum, in den der Kerl sie und Nati gebracht hatte. Er war kalt wie ein Eiskeller und überdies so feucht, dass Schimmel an den Wänden hing. Zudem zog es durch das zerbrochene Fenster.
    Die Einrichtung bestand aus einem wackligen, schmalen Bett und einem wurmstichigen Stuhl. Lore sah keine Decke auf dem Bett, die diese Bezeichnung verdiente, sondern nur zwei Laken, die so fadenscheinig waren, dass man durch den Stoff hindurch die Zeitung hätte lesen können. Ein alter Nachttopf mit abgebrochenem Henkel rundete die erbärmliche Einrichtung ab.
    Lore legte Nati auf das Bett und holte tief Luft. »Hier kann ja kein Hund übernachten! Ich benötige Kissen und warme Decken für das Kind und für mich. Dann einen Krug Wasser und eine Schüssel zum Waschen und etwas zu trinken. Bekommen wir unser Abendessen unten? Sonst brauchen wir noch einen Tisch – und natürlich Holz für den Kamin. Ich kann alles selbst hochbringen, wenn mir jemand zeigt, wo die Sachen zu finden sind …«
    »Du brauchst gar nichts, du kleine Hündin!«, antwortete der Mann feixend. »Und du wirst auch nicht im Haus herumspazieren. Für wie dumm hältst du uns eigentlich? Los, setz dich hierher!«
    Ehe Lore es sich versah, hatte er sie auf das Bett geworfen und ihr linkes Bein hochgerissen. Sie kam halb auf Nati zu liegen, die vor Schreck aufschluchzte, und ehe sie sich aufrichten konnte, hatte der Mann eine Kette um ihren Knöchel geschlungen und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Das

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