DGB 05 - Fulgrim
Menschheit blickte,
wusste er, sein Werk war vollendet.
Die riesige Statue aus blassem
Marmor war makellos; jede Linie der Rüstung war mit größter Sorgfalt in den
Stein geschlagen worden, um ein exaktes Abbild seiner Majestät zu erschaffen.
Große Schulterschützer mit
Adlerdekor umrahmten einen großen Helmnach altem Design, darauf saß ein hoher
Helmbusch aus Rosshaar, das so natürlich wirkte, dass sogar Ostian fast
erwartete, es würde sich in dem sanften Luftzug bewegen, der Papier und Staub
durch sein Atelier trug.
Der große Adler auf dem
Brustpanzer des Imperators schien aus der Brust hervor platzen zu wollen, und die
Blitze auf den Arm- und Beinschienen strahlten eine urtümliche Energie aus, die
die Statue lebendig wirken ließ. Ein langer, geschwungener Umhang aus weißem Marmor
fiel über seinen Rücken, als würde sich dort ein Wasserfall aus Milch zu Boden
ergießen. Ostian war sicher, dass sich der Meister des lmperiums einen Moment
Zeit nehmen würde, um sich an einem so gelungenen Ebenbild zu erfreuen.
Ein goldener Lorbeerkranz hob sich
von der Blässe des Marmors ab, und Ostian spürte, wie sein Atem stockte, als
die Voll-kommenheit der Statue in ihm etwas Erstaunliches weckte.
Man hatte Ostian im Lauf seiner
Karriere unter anderem als einen Perfektionisten und Besessenen bezeichnet,
doch seiner Meinung nach musste man besessen sein und nach der Wahrheit
streben, wenn man würdig sein wollte, als Künstler bezeichnet zu werden.
Seit der Anlieferung dieses
Marmorblocks hatte die Arbeit an dieser Statue ihn fast zwei Jahre gekostet. Jeden
wachen Moment hatte er damit zugebracht, den Marmor zu bearbeiten oder darüber
nachzudenken, welche Form er annehmen sollte. Grundsätzlich konnte er sagen,
dass er schnell gearbeitet hatte, doch in Anbetracht des Resultats kam diese
kurze Zeitspanne sogar einem Wunder gleich. Normalerweise hätte ein solches Meisterwerk
viel mehr Zeit in Anspruch genommen, aber der sich wandelnde Charakter der 28.
Expedition hatte Ostian so viel Sorgen bereitet, dass er sein Atelier monatelang
nicht mehr verlassen hatte.
Ihm wurde bewusst, dass er sich
erst einmal mit den Ereignissen der letzten Zeit vertraut machen musste, um zu
erfahren, welche Fortschritt der Große Kreuzzug gemacht hatte. Auf welche neuen
Kulturen war man gestoßen? Welche besonderen Leistungen hatte man vollbracht?
Der Gedanke, sein Atelier zu
verlassen, erfüllte ihn gleichermaßen mit Angst und Begeisterung, denn mit der
Enthüllung seiner Statue würde er wieder die Bewunderung der anderen genießen
können, was er normalerweise eigentlich verabscheute. Doch in solchen Augenblicken
sehnte er sich nach Aufmerksamkeit.
Ostian wurde nicht von falscher
Bescheidenheit geblendet, was seine Begabung, nein, seine Genialität anging. Erst
in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten würden die Fehler und Mängel
offensichtlich werden, die nur er sehen konnte, und er würde seine nutzlosen Hände
verfluchen und nachzudenken beginnen, was er bei seiner nächsten Arbeit besser
machen konnte.
Wenn ein Künstler das Gefühl
bekam, sich nicht mehr steigern zu können, welchen Zweck hatte dann seine Existenz
als Künstler noch? Jede Arbeit sollte nur eine weitere Stufe auf dem Weg zu
höheren Gipfeln der Kunst sein, von wo aus ein Mann auf sein Lebenswerk zurückblicken
und zufrieden mit sich sein konnte, dass er in der kurzen ihm zur Verfügung
stehenden Zeit das Beste aus sich herausgeholt hatte.
Ostian zog den Kittel aus,
faltete ihn ordentlich zusammen, legte ihn auf den Hocker und drückte ihn sorgfältig
platt, ehe er einen Schritt nach hinten machte.
Eigentlich war es vermessen,
seine Arbeit so unverhohlen zu bewundern, doch wenn sie erst einmal der
Öffentlichkeit zu-gänglich gemacht worden war, würde sie nicht länger nur ihm
gehören, sondern jedem, der sie zu sehen bekam. Millionen kritische Augen
würden sie beurteilen und ihre Bedeutung — oder deren Fehlen — einstufen. In
solchen Augenblicken verstand er die selbstzerstörerischen Zweifel, die in
Serena d'Angelus' Herz ebenso lauerten wie in dem eines jeden anderen
Künstlers, ob er nun Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Komponist war. In
einem Kunstwerk steckte immer ein Teil der Seele des Künstlers, und die Angst,
abgelehnt oder ausgelacht zu werden, war enorm.
Ein kalter Lufthauch ließ ihn
schaudern, dann sagte eine melodisch klingende Stimme: »Sie haben ihn wirklich
gut getroffen.«
Ostian zuckte zusammen und
wirbelte herum.
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