DGB 12 - Verlorene Söhne
Höhle, gelangte an einer
Seite des Bergs nach draußen und sah hinauf in die gleißende Sonne. Ihr Licht
blendete ihn, und er sank auf die Knie, überwältigt von ihrer Schönheit und
Wärme. Er fürchtete, die Sonne könnte ihm die Augen verbrannt haben, doch nach einer
Weile kehrte sein Sehvermögen zurück, und zögerlich begann er sich umzusehen.
Er war weit oben an der Gebirgswand aus der Höhle herausgekommen, daher breitete
sich die Welt vor ihm in all ihrer Pracht aus: glitzernde grüne Seen, endlose
goldgelbe Getreidefelder. Angesichts dieser Schönheit kamen ihm die Tränen, und
er war traurig, dass er so viele Jahre in der Dunkelheit zugebracht hatte, ohne
etwas vom Glanz der Welt ringsum zu ahnen — einer Welt, die immer schon dort
gewesen war, die ihm aber durch sein eingeschränktes Blickfeld verwehrt
geblieben war.«
Der Primarch unterbrach sich
und sah hinauf zu den Sternen. Das Publikum, das er in seinen Bann geschlagen hatte,
folgte seinem Blick nach oben, als würde sich jeder von ihnen die gleißende
Sonne aus seiner Geschichte vorstellen.
»Können Sie nachempfinden, wie
das für ihn war?«, fragte er mit bewegter Stimme. »Ein Leben lang starren Sie
auf ein Feuer und glauben, es ist das einzige Licht auf der Welt, und dann
bekommen Sie die Sonne zu sehen? Der Mann wusste, er musste seinen Freunden von
dieser wunderbaren Entdeckung berichten. Also kehrte er zurück in die Höhle, wo
die beiden anderen saßen und nach wie vor auf die Schatten an der Wand starrten
und lächelten. Der Mann, der die Welt gesehen hatte, betrachtete den Ort, den
er sein Leben lang als seine Heimat bezeichnet hatte, und erkannte ihn als das
Gefängnis, das diese Höhle in Wahrheit war. Er berichtete den anderen von seiner
Entdeckung, doch die waren nicht interessiert, weil sie ihm die Geschichte von
einem brennenden Auge am Himmel nicht glaubten. Sie wollten ihr Leben so
weiterleben, wie sie es schon immer getan hatten. Sie bezeichneten ihn als
verrückt und lachten über ihn, während sie weiter das Feuer anstarrten, das für
sie die einzige Realität war, die sie kannten.«
Ahriman hatte diese Geschichte
zum ersten Mal gehört, als er noch ein Philosophus im Corvidae-Tempel gewesen
war und Magnus sein Mentor, bevor er vor den Dominus Liminus treten musste.
Damals wie heute war da dieser verbitterte Unterton, der genau das richtige Maß
an Verärgerung und Unglauben angesichts der Blindheit dieser Männer in der
Höhle vermittelte. Wie — so fragte Magnus unterschwellig — konnte sich irgendjemand
vom Licht abwenden, nachdem er von dessen Existenz erfahren hatte?
»Der Mann konnte den
Widerwillen seiner Freunde, sich in die Welt da draußen zu begeben, nicht
verstehen«, fuhr Magnus schließlich fort. »Aber er wollte ihre Weigerung nicht
hinnehmen, sondern ihnen das Licht zeigen, und zwar unter allen Umständen. Und
wenn sie nicht mit ihm kommen wollten, dann würde er das Licht zu ihnen
bringen. Also kehrte der Mann zurück in die Welt des Lichts und begann zu
graben. Er grub, bis er den Höhleneingang vergrößert hatte. Er grub hundert
Jahre lang, und dann noch einmal hundert Jahre, bis der Berggipfel verschwunden
war. Dann grub er sich nach unten durch den Fels. Er schuf eine tiefe Grube im
Herzen des Bergs, bis er die Höhle erreicht hatte, in der seine Freunde am
Lagerfeuer saßen.«
Magnus verfiel in Schweigen,
aber was wie ein Moment des Innehaltens wirkte, war in Wahrheit nur eine theatralische
Pause, wie Ahriman wusste. Ihm war auch bekannt, warum sein Primarch genau an
dieser Stelle seine Geschichte unterbrach, denn in der ursprünglichen Version
wurde der Mann von seinen Freunden getötet, weil das, was er ihnen zeigen
wollte, sie in Angst und Schrecken versetzte. Nach dem Mord an ihm zogen sie sich
tiefer in die Höhle zurück, um den Rest ihres Lebens in ewigem Dämmerlicht zu
verbringen.
Die Geschichte war eine Parabel
auf die Sinnlosigkeit, grund-legendes Wissen mit jenen teilen zu wollen, die zu
engstirnig waren, um etwas außerhalb ihrer Wahrnehmung der Realität zu
akzeptieren. Indem er nur einen Teil der Handlung erzählte, brach Magnus zwar
sein wortloses Versprechen gegenüber seinem Publikum, doch das würde keiner der
Anwesenden je heraus-finden. Da die Geschichte jedoch eine Auflösung
erforderlich machte, redete Magnus schließlich weiter und ließ seine Fantasie spielen.
»Die Männer waren völlig
verblüfft über das, was er ihnen zu zeigen hatte — das Licht, das ihnen
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