DGB 12 - Verlorene Söhne
Geheimnis kannten. Je mehr Zeit Lemuel mit den
beiden Frauen verbrachte, umso deutlicher wurde ihm, dass sie nicht nur diese
eine Sache miteinander teilten.
»Lord Ahriman sieht Potenzial
in mir«, erklärte er, obwohl er wusste, dass seine Worte nicht annähernd den Grund
erklärten, aus dem der Chefscriptor der Thousand Sons ihn zu sich bestellt
hatte.
»Welche Art Potenzial?«, hakte
Kallista nach.
Lemuel zuckte mit den
Schultern.
»Da bin ich mir noch nicht ganz
sicher.«
»Ach, komm schon, so was ist
doch keine Antwort!«, gab Camille zurück.
Als Ahriman ihm eröffnet hatte,
dass er von seiner Fähigkeit wusste, war die anfängliche Angst schnell einem unterschwelligen
Stolz auf sein Können gewichen. Schon lange hatte er vermutet, dass seine
Fähigkeiten, andere Menschen zu lesen, ihn zu etwas Besonderem machten, und nun
wusste er, dass es tatsächlich so war. Nachdem er mit Camille und Kallista
einige Zeit verbracht hatte, wurde ihm deutlich, dass er nicht der Einzige war.
Er zögerte mit seiner Antwort, weil er wusste, er konnte sich irren, und weil
er sich eigentlich erst sicher sein wollte.
»Seit neulich nachts wissen
wir, dass Kallista das Talent besitzt, um ... wie soll man es nennen?
Kanalisieren vielleicht? ... dass sie das Talent besitzt, um eine Macht durch
sich zu leiten, die es ihr ermöglicht, Dinge aufzuschreiben, die noch gar nicht
geschehen sind.«
»Talent ist wohl kaum der
Begriff, den ich dafür verwenden würde«, warf Kallista mürrisch ein.
»Nein, vermutlich würdest du
das nicht«, stimmte Lemuel ihr zu.
»Ganz sicher nicht, wenn es mit
solchen Schmerzen verbunden ist, wie du sie beschrieben hast. Aber wenn man von
den physischen Umständen einmal absieht, von der deine Fähigkeit begleitet
wird, dann musst du doch auch sagen, dass du etwas kannst, zu dem die meisten
Menschen nicht in der Lage sind, richtig?«
»Ja«, räumte sie ein. Lemuel
konnte lesen, wie unangenehm es ihr war, über dieses Thema zu reden.
»Nun, ich besitze auch eine
Fähigkeit«, gestand er den beiden.
»Was für eine Fähigkeit?«,
fragte Camille.
»Ich kann Dinge sehen, die
anderen verborgen bleiben.«
Kallista beugte sich vor, ihre
Aura verriet ihm ihr Interesse.
»Was für Dinge?«
»Auren nennt man sie wohl. Eine
Aura erscheint mir als leuchtender Schimmer, der die betreffende Person umgibt.
Ich kann sehen, ob jemand lügt, was er fühlt, wie er gelaunt ist. Diese Dinge
eben.«
»Und was fühle ich jetzt
gerade?«, wollte Camille wissen.
Lemuel lächelte. »Du fühlst
eine zügellose Lust auf mich, meine Liebe. Du würdest mich am liebsten
anspringen und über mich herfallen. Wäre Herrin Eris nicht zugegen, würdest du
längst schon rittlings auf mir sitzen.«
»Okay, du hast mich überzeugt«,
befand sie lachend.
»Wirklich?«, fragte Kallista.
»Nein!«, quiekte Camille. »Ich
mag Lemuel, aber was meine Partner angeht, habe ich einen anderen Geschmack.«
»Oh«, machte Kallista, lief rot
an und sah rasch zu Lemuel.
»Stimmt das? Kannst du das
tatsächlich?«
»Ja«, bestätigte er. »Im Moment
bist du verlegen, und es wäre dir lieber, wenn Camille in deiner Gegenwart nicht
über ihre sexuellen Vorlieben reden würde. Du glaubst mir, und du bist
erleichtert, dass du nicht als Einzige ein Geheimnis hast.«
»Um das zu sehen, brauchst du
keine besonderen Fähigkeiten, Lemuel«, sagte Camille. »Das kann ich ihr ja sogar
ansehen.«
»Ja, aber du glaubst mir
ebenfalls, und du besitzt selbst auch eine Fähigkeit, nicht wahr?«
Camilles Lächeln erstarrte.
»Ich weiß nicht, was du da redest«,
wich sie aus.
»Und das ist gelogen«, sagte er
ihr auf den Kopf zu, stand von seinem Stuhl auf und holte sich etwas zu
trinken. »Du berührst Dinge, und schon weißt du, woher sie stammen, wer sie
zuvor besessen hat und alles andere, was ihre Vorgeschichte bis zurück zu dem
Moment ihrer Entstehung betrifft. Darum trägst du immer Handschuhe und borgst
dir nie etwas von anderen aus. Ich kann dir daraus keinen Vorwurf machen. Es
muss schwierig sein, auf diese Weise alle Geheimnisse einer Person zu
erfahren.« Camille wich seinem Blick aus und sah zu Boden, während Lemuel sie
anlächelte, um ihr Unbehagen zu lindern. »Ich habe gesehen, wie du vor einigen
Tagen in dieser Häuserruine das Objekt berührt hast, das du kurz zuvor
teilweise ausgegraben hattest«, fuhr er fort.
»In dem Moment, in dem du es
berührt hast, wusstest du genau, was es ist, richtig?«
Den Blick weiter nach
Weitere Kostenlose Bücher