Dhalgren

enger und enger. Und doch ist sie so weit entfernt! Es ist nicht einmal, weil sie ein hübsches Mädchen ist, sondern daß hier über zwei Dutzend Leute leben und die Distanz, die sie um sich herum fordert unsere Vorstellung von Menschenraum zerstört. Daß sich ihre Feindseligkeit in sexuellen Anspielungen und Witzen entlädt. (»Hast du die Pussy gerade gesehen?« fragte jemand, ob weiblich oder männlich, er war sich nicht ganz sicher, nebenan. »Wo sind Gabel und Messer?«) ist die natürliche Reaktion auf etwas viel Persönlicheres als Geschlecht - obwohl sie das auch nach Jahren noch nicht verstehen wird. Manche Leute sind einfach mit siebzehn sehr jung.
    »Leben Sie nicht mehr im Park?« fragte June.
    »Nein.« Er sah auf die Veranda hinaus und auf den Hof. »Er ist auch nicht dabei?«
    Sie schüttelte den Kopf ohne, wie er dachte, hinzusehen.
    »Vielleicht hier?« sie überquerten den Flur. Kid öffnete die Tür.
    Es war heiß, und selbst Kid fragte sich manchmal, wie man in diesem angekohlten Halbdunkel schlafen konnte. Vier, unter ihnen ein Mädchen, saßen nackt auf der großen Matratze in der Ecke und schwitzten vor sich hin. Atem zischte in verschiedenen Rhythmen. Kathedrale saß mit dem Rücken gegen die Wand und las ein Buch, dessen Umschlag fehlte. (- Messing Orchideen: Kid erkannte die Titelseite.) Aus Rücksicht auf die Schläfer hatte er das Rollo nicht hochgezogen. Der Löwe hockte auf dem Fensterbrett und las über seine Schulter mit.
    Kid ging hinein.
    June, die Hand wieder lose vors Gesicht geschlagen, folgte ihm.
    Die Schranktür war aus den Angeln gehoben und ruhte auf Kisten.
    Ein offener Schlafsack hing herunter bis auf den Boden. Dort schliefen ein Junge und ein Mädchen, beide mit langen Haaren miteinander. Beide waren keine Skorpione, und der Junge (seine Hand lag zusammengerollt unter dem Nacken) sah aus, als hätte er besser in der Kommune geschlafen.
    Jemand anders (Angel?) wühlte im Schrank. Dinge polterten, fielen herunter und rumpelten, unterbrochen durch ». . . shit . . .« und ». . . verdammt . . .« und ». . . shit! . . .« und ». . . shit . . .«
    Seit Kid zum letzten Mal in diesem Zimmer gewesen war, hatte jemand das Poster von George als Mond aufgehängt. Drumherum hingen einige Playboy-Ausklappmädchen, zwei Titelfotos der Black Garters und eine Reihe nackter Frauen, die in irgendeinem Nudistenlager Tennis spielten.
    June schloß ihre Fäuste in den Falten des grünen Rocks so fest, daß sie zitterten.
    »Das ist eine Szene«, dachte Kid. Aber so ist das.
    »Eddy?« Ihre Stimme klang trotz der zitternden Arme fest.
    »Huh? . . . oh, hey . . .« Es war der blonde Skorpion mit dem kantigen Kinn, der sich über Pepper hergemacht hatte. »Was machst du . . . warte, eine Sekunde.« Er schob die Decke von den Füßen und begann, seine Turnschuhe zuzuschnüren. Er schnallte die Hose zu und suchte nach seiner Weste. Haare, blond wie die seiner Schwester, formten einen zerknüllten, gesprungenen Helm aus Goldfolie, der zu groß für seinen Kopf schien.
    »Ich . . . ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen!« sagte June leise und vorwurfsvoll. Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie Milch erwartet und Orangensaft hinuntergeschluckt. Sie sagte wirklich: »Eddy, bist du das eigentlich?«
    »Eine Sekunde«, wiederholte der Blonde, zog die Weste an und stand unsicher auf der Matratze. Er sah zu alt aus im Vergleich mit Kids Vorstellung von Junes Bruder. Auf seiner Stirn zogen sich Falten. Seine Schläfen waren gelichtet. So wie ich als Baby-Face gelte, dachte Kid, konnte man bei ihm annehmen, er sei über fünfundzwanzig. Doch um ihn lag eine gewisse jugendliche Unsicherheit in den Bewegungen. Wie bei seiner Schwester. Augen und Oberlippe waren bei beiden identisch. Seine Unterlippe war voller als ihre - eher wie bei Mrs. Richards. Er kam auf sie zu. »Was willst du hier?«
    »Wir hatten gedacht, du wärest in eine andere Stadt gezogen, Eddy!« Sie blickte über seine Schulter und wieder zurück. »Oh . . . wenn Daddy und Mommy dich hier sehen würden, sie würden ... glaube ich sterben ... sie würden sterben.«
    »Was willst du?«
    »Mit dir reden. Dich sehen. Sehen, ob du wirklich . . . Jemand hat gesagt, er hätte jemanden gesehen, der aussah . . .«
    »Eine Sekunde«, sagte Eddy. »Ich muß zum - Ich meine, ich bin gerade aufgestanden.« Er berührte seine Schwester an der Schulter und ging dann an Kid vorbei in den Flur. »Bin gleich zurück.«
    California drehte sich auf