Dhalgren
die Überraschung nicht allzu groß wird. Hast du dich entschieden, welches Hemd du anziehst, Denny?«
»Ich habe gedacht«, meinte Denny, »ich nehme alle drei mit und ziehe mich ein paarmal um.«
»Was ziehst du denn an?«
»Was ich anhabe«, antwortete Kid.
Lanya dachte eine Minute lang nach. »Wasch dir die Hose aber. Gib sie mir, und ich werfe sie in die Maschine. Bei uns im Keller funktioniert eine.«
»Ich habe nur eine«, sagte Kid.
Lanya lachte, ließ ihre Hände los, rollte sich an die Wandseite.
»Ich rasiere mich aber.«
»Ich dachte, du läßt dir jetzt einen Bart wachsen?«
Rabe rief von unten hoch: »Ich habe einen Rasierer. Wenn du ihn benutzen willst. Jeder nimmt ihn.«
»Habe ich wahrscheinlich auch schon«, gab Kid zurück. »Danke.«
»Ich habe den ganzen Morgen und Nachmittag Schule gehabt«, sagte Lanya. »Was habt ihr gemacht?«
Denny zuckte die Achseln. »Nichts. Wir haben nicht viel zu tun hier. Eigentlich machen wir hier überhaupt nichts.«
Denny zog den Stiefel unter sich weg und saß sehr nah am Rand. »Dollar hat versucht, Copperheads Kopf mit einer Latte zu spalten, und Kid hat sich dazwischengeworfen und hat sie auseinandergerissen -«
»- kleiner Bastard« - Kid bog die Schulter, die immer noch weh tat -, »wollte mir den Arm abbeißen -«
»- und da haben wir ihn rausgeschafft, aber Copperhead, Glas und Spitt sind hinterher und haben ihn erwischt. Er liegt da drin, ganz schön fertig.«
»Wir machen hier nicht so viel«, sagte Kid. »Aber du rätst nie, wer uns besucht hat. Sie ist gerade vor dir gegangen.«
»Wer denn?«
»June Richards.«
»Was in aller Welt wollte sie hier?«
»Ihr Bruder ist hier.«
»Ich dachte, der sei den Fahrstuhlschacht hinuntergefallen und hat sich den Hals gebrochen?«
Denny sagte: »Das war ihr Bruder?«
»Ihr anderer Bruder«, sagte Kid. Dann zu Denny: »Dieser Bruder ist Tarzan.«
»Yeah, ich war doch hier. Erinnerst du dich?«
»Oh.«
»Was wollte sie?«
»Familienprobleme.«
»Ich hatte gedacht, du hättest genug von diesen Familienproblemen?«
»Hatte ich auch.« Kid beugte sich nach vorn und legte den Kopf in Lanyas Schoß. »Wie findest du unser neues Nest?«
»Darf ich brutal sein?«
»Du magst es nicht, huh?« Denny kam herüber und setzte sich neben sie. »Ich finde es ganz gemütlich. Es ist viel besser als das alte.«
»Auf meinem Weg von der Eingangstür zum Badezimmer und wieder zurück hierher, habe ich mich wohl siebenmal gefragt, wie ihr es aushaltet.«
»Verdammt«, sagte Kid. »Wir sind wie lange herumgegammelt - ?«
»Das war aber draußen, in der frischen Luft! Und wir waren fast die ganze Zeit allein, nicht mit anderen Leuten zusammen.«
»Ich glaube, sie findet es hier nicht gut«, sagte Denny und ließ die Schultern herabfallen. »Findest du es nicht besser als die alte Wohnung? Wir haben eine Matratze . . .«
»Ihr seid zu fünfzig Leuten auf einem Raum für . . .«
»Zwanzig«, sagte Kid. »Vielleicht fünfundzwanzig.«
». . . achtundzwanzig habe ich allein zwischen der Treppe, der Küche, dem Wohnzimmer, der hinteren Veranda und den beiden Hinterzimmern gesehen - auf einem Raum, der mit fünf oder sechs Leuten schon überfüllt wirkt. Neben der Hintertreppe liegt ein Haufen Scheiße - menschliche Scheiße vermutlich - der verständlich ist, wenn man bedenkt, daß ihr nur ein Badezimmer habt. In dem ich übrigens war, und das war ziemlich unglaublich. Wie ernährt ihr all diese Leute? Ich meine, in der Küche bin ich auch gewesen.«
»Wir essen ganz ordentlich«, sagte Denny. »Ich finde, wir essen ganz ordentlich.«
»Dieser Mangel an Freiraum würde mich wahnsinnig machen.«
»Weißt du«, sagte Kid, »das ist eine komische Sache mit dem Freiraum. Wenn in einem Zimmer zwei oder drei Leute sind, kann man nur sehr schwer mit sich selbst allein sein. Wenn es neun oder zehn sind, besonders, wenn alle zusammen wohnen, braucht man nur zu denken, und man ist allein. Ich möchte allein sein, und jeder hat jemand anderen, mit dem er sich beschäftigen kann, und dann bist du auch allein. In meinem ersten Jahr auf der Columbia hatte ich zwei Zimmergenossen in meinem Apartment. Wir hatten vier Zimmer, und es war unerträglich. Ein paar Jahre später habe ich Dezember, Januar, Februar und März in drei Zimmern auf der East Second Street in New York mit zehn Typen und zehn Tanten zusammen gewohnt. Kalt wie wahnsinnig, und wir waren den ganzen Tag da drin. Wir haben nur gegessen, gebumst und Dope
Weitere Kostenlose Bücher