Dhalgren
ungeheuer neugierig, konnte jedoch diese Neugier auf nichts Bestimmtes richten. »Was für eine Art Kirche ist das hier?« Er versteifte sich darauf, fühlte jedoch, daß es hoffnungslos künstlich klang. Er wollte natürlich wegen des Posters fragen.
Sie lächelte. »Allglauben, rassengleich. Wir haben nun schon eine ganze Zeitlang dreimal die Woche Gottesdienst. Wir würden uns freuen, wenn es dich interessierte und du kommen würdest. Sonntag morgens, natürlich. Und dann noch Dienstag und Donnerstag abends. Die Gemeinde ist nicht sehr groß. Aber wir sammeln unsere Schäfchen schon.«
»Sie sind Priester . . .?«
»Amy Taylor. Ich bin Laienpriester, übrigens. Das ist ein Projekt, das ich selber angeregt habe. Klappt ganz gut, wenn man es sich so ansieht.«
»Du bist ganz einfach in diese Kirche und hast angefangen?«
»Nachdem die Leute, die hier waren, fortgingen.« Sie rieb sich nicht die Hände, sie streckte eine aus. Es hätte die gleiche Geste sein können. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
Er schüttelte sie. »Freut mich auch.«
»Ich hoffe, du kommst zu unseren Gottesdiensten. Wir leben in einer Zeit der Aufregung für jedermann. Wir brauchen alle geistige Hilfe, derer wir habhaft werden können . . . meinst du nicht auch?«
Ihr Griff (wie Joaquims) verweilte. Und wurde fester. »Heh, weißt du, was für ein Tag heute ist?«
Sie blickte auf die Zeitung. »Mittwoch.«
»Aber wie weißt du dann, wann Sonntag ist?«
Sie lachte. Es war ein sehr selbstsicheres Lachen. »Sonntagsgottesdienst haben wir, wenn auf der Zeitung >Sonntag< steht. Ich weiß, Mr. Calkins bringt die Daten durcheinander. Aber es gibt niemals mehr als einen Sonntag innerhalb von sieben Tagen. Genau wie Dienstage. Donnerstage gibt es jetzt häufiger. Ich war bei ihm deswegen. Ein sehr höflicher Mann. Und macht sich viel Sorgen darum, was so vorgeht in dieser Stadt, trotz dieses, wie einige Leute finden, etwas großzügigen Humors. Auch mir war die Häufigkeit von Sonntagen aufgefallen. Er hat das mit den Dienstagen erklärt, bestand aber auf willkürlichen Donnerstagen. Er hat mir netterweise angeboten, er würde jeden Tag, den ich wolle, zum Donnerstag erklären - wenn ich ihm vierundzwanzig Stunden vorher Bescheid gäbe.« Ihr absoluter Ernst wurde durch ein Lächeln unterbrochen. Und sie ließ seine Hand los. »Die ganze Geschichte ist wirklich komisch. Ich fühle mich, wenn ich darüber rede, so merkwürdig wie du sicher, wenn du sie hörst.« Ihr natürliches Haar und das runde, braune Gesicht: Er mochte sie. »Kommst du mal in unseren Gottesdienst?«
Er lächelte. »Ich werde es versuchen.« Irgendwo war er auch ein wenig traurig für diese Lüge. »Gut.«
»Reverend Taylor?«
Ihr schmalen Brauen hoben sich, als sie ihn anblickte.
»Führt diese Straße zu . . . Mr. Calkins?«
»Ja, er wohnt ungefähr eine Meile weiter. Du mußt Jackson überqueren. Vor zwei Tagen fuhr eine brave Seele einen Bus den Broadway entlang. Nur ein Bus. Aber es ist kein Verkehr da, mit dem er kämpfen kann. Ich weiß nicht, ob er noch fährt. Er würde dich zum Zeitungsbüro bringen. Nicht zu ihm nach Hause. Ich glaube, du kannst auch laufen. Bin ich auch.«
»Danke.« Sie blieb zurück und lächelte aus dem Toreingang.
Nein, entschied er, das war wahrscheinlich nicht dieses Kloster. Er stellte sich vor, wie sich das Tonband drehte und drehte, während die Musik leiser wurde; Akkord auf Akkord fiel herab von den glitzernden Spulen.
Jackson Avenue war eine breite Straße, aber die großen Wohnhäuser, vom Mittagsrauch verwischt, waren zum größten Teil aus Holz. Die Oberleitungen, die die Kreuzung überspannt hatten, lagen geschlängelt auf dem Pflaster an der Ecke. Zwei Blocks weiter rauchte eine Ruine. Rauchwolken gaben verkohlte Balken frei und überzogen sie wieder.
Ein Block weiter in der anderen Richtung hielt eine dicke Gestalt mit einer Einkaufstasche zwischen zwei Ecken an und beobachtete, wie er sie beobachtete. Obwohl es ein willkürlicher Mittwochnachmittag war, fühlte es sich wie ein merkwürdiger Sonntagmorgen an.
3
Es gibt keine artikulierte Resonanz. Ein allgemeines Problem ist, nehme ich an, daß man mehr zu sagen hat, als Vokabular und Syntax vermitteln können. Deswegen hetzte ich durch diese ausgedörrten Straßen. Der Rauch verbirgt die Veränderungen des Himmels, befleckt das Bewußtsein, bedeckt die Brandstelle mit etwas Sicherem, Substanzlosem. Schützt vor größeren Flammen. Es läßt auf
Weitere Kostenlose Bücher