Dhalgren
Hinter ihnen erklang Hämmern.
Auf sein Stirnrunzeln hin antwortete sie: »Eines von Johns Arbeitsprojekten. Sie sind vom Mittagessen zurück. Ich weiß, wo noch was zu essen ist. Der Typ, der meist für die kocht, Jommy, ist mein Freund. Willst du was zu essen?«
»Nö.« Er schüttelte den Kopf. »Übrigens, ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich . . .«
»Hast du doch. Aber ich werde dich sehen, wenn du zurückkommst. Nimm das.« Sie hielt ihm das Notizbuch entgegen. »Dann hast du unterwegs was zu lesen.«
Für einen Moment verriet sein Gesicht, daß er verstand, daß sie wollte, er bliebe. »Danke . . . okay.«
»Das ist das Schöne an diesem Ort«, sagte sie darauf, »wenn du zurückkommst, werde ich dich treffen.« Sie hob die Harmonika an den Mund. »Man kann hier niemanden aus den Augen verlieren.« Auf dem Metall waren ihre Augen und Nasenlöcher tiefe Dunkelheit, in silbriges Fleisch gebettet, hineingeschnitten, ohne Lid, Wimper oder Umgrenzung, nur grün und grün. Sie blies einen Mißakkord und ging weg.
Als er an den augenlosen Löwen vorbeiging, kam ihm in den Sinn: Du kannst keinen solchen Mißakkord auf der Harmonika erklingen lassen. Auf keiner der Harmonikas, die er jemals besessen hatte.
2
Er ging drei Blocks entlang und erblickte etwa in der Mitte des vierten die Kirche.
Sichtbar waren zwei (der vermutlich vier) Uhren um den Turm herum. Als er näher kam, erkannte er, daß die Zeiger fehlten.
Mit dem Handrücken rieb er sich die Stirn. Sand scheuerte zwischen Haut und Haut. Dieser Ruß . . .
Der Gedanke: Ich sehe ganz schön gut aus, um auf eine Gesellschaft eingeladen zu werden!
Durch die Kirchentür drang Orgelmusik. Er erinnerte sich, daß Lanya irgend etwas über ein Kloster erzählt hatte. Er fragte sich, ob man seinem Gesicht die Neugier ansehen konnte und ging vorsichtig - das Notizbuch fest unter den Arm geklemmt -in die geflieste Einganghalle.
Durch die zweite Tür sah er, wie sich in einem Büro zwei der vier Spulen in dem Aluminiumgesicht eines aufrecht stehenden Tonbandes drehten. Kein Licht brannte.
Als er sich umwandte, registrierte er es nur (einmal aufgenommen, wußte er mit dem Bild nichts anzufangen): Über dem schwarzen Brett in dem Büro war das mittlere Poster von Loufers Wand mit Heftzwecken befestigt: Der Schwarze in Kappe, Jacke und Stiefeln.
Eine weitere Tür (die vielleicht zur Kapelle selbst führte?) stand dunkel offen. Er ging zurück auf die Straße. »Heh, du da!«
Der alte Mann trug rostfarbene Schlaghosen, goldgeränderte Brillengläser; darunter ein verblichenes Kordjackett, ein leuchtendrotes Oberteil: Bart, Barett. Unter dem Arm trug er ein Bündel Zeitungen . . . »Wie geht's an diesem perlmuttfarbenen Nachmittag?«
»Hallo.«
»Also . . . ich möchte wetten, du möchtest wissen, wie spät es ist?« Der alte Mann reckte den langen Hals. »Laß mich mal sehen.« Er starrte zum Kirchturm hinauf. »Laß mich sehen. Es ist . . . ungefähr ... elf Uhr . . . fünfundzwanzig.« Sein Kopf kam mit zittrigem Gelächter herab. »Wie findest du das, he? Ganz schön guter Trick, huh? (Willst du eine Zeitung? Hier, nimm eine!) Es ist ein Trick. Ich zeig dir, wie man's macht. Was ist los? Die Zeitung ist umsonst. Willst du ein Abonnement?«
»Unter deinem Bart . . . wo hast du das Ding um deinen Hals her?«
»Du meinst . . .« Die freie Hand des alten Mannes fuhr unter das pfefferfarbene Haar, das sich ohne Unterbrechung von der Brust bis zum Kinn hochzog. Er band die Halskette los, die wie eine diamantene Schlange herunterfiel. ». . . dies hier? Wo hast du deins her?«
Er dachte, daß Kragen und Manschetten seine verdeckten. »Auf dem Weg hierher. Es steht darauf, daß es aus Brasilien stammt.«
Der alte Mann hielt das Ende näher an sich heran, um besser sehen zu können: ». . . Japan?« und streckte es ihm dann entgegen.
Auf dem Blechschildchen stand: ade in Japan eingraviert. Vor dem ade war ein Kratzer, zweifellos ein m.
Der alte Mann hing es sich wieder um den Hals, und es gelang ihm schließlich, sie mit einer Hand zu schließen.
Er blickte auf die Zeitungen hinab: Gerade, als der alte Mann wegtrottete, las er unter der zerknitterten Manschette des Alten:
BELLONA TIMES Donnerstag, 1. April 1979 NEWBOY IN TOWN
Er runzelte die Stirn.
»Ich habe deine Kette nicht gesehen«, fuhr der alte Mann fort, ohne daß eine Erklärung erwartet worden wäre. »Aber du hättest nicht danach gefragt, wenn du nicht selber eine
Weitere Kostenlose Bücher