Dhalgren
.« Ich versuchte, herauszubekommen, warum ich innehielt. Als ich es fand, holte ich tief Luft. »Ich glaube, ich bin kein Dichter . . . nicht mehr, Mr. Calkins. Ich bin auch nicht sicher, ob ich je einer war. Ein paar Wochen lang war ich nah dran. Wenn ich jemals einer war, werde ich das nie erfahren. Niemand wird es wissen. Doch eine Sache habe ich ebenfalls verloren, wenn ich sie überhaupt jemals gewußt habe, das ist die klare Kenntnis der Abgründe, in die die Flügel meiner Seele tauchen konnten. Ich kenne sie nicht . . . Ich nehme lediglich an, es interessiert Sie, weil Sie in Ihrem Brief erwähnten, Sie erwarteten ein zweites Buch.«
»Meine Interessen«, sagte er kalt, »sind die Politik. Ich bin lediglich dahinter her, wie sie und die Kunst an einem so kleinen Ort existieren. Sie begehen einen für Schriftsteller häufigen Fehler: Sie unterstellen, daß die Veröffentlichung die einzige politische Aktivität ist, die es für Sie gibt. Sie ist eine meiner interessantesten Aktivitäten; aber auch eine meiner unwichtigeren. Darunter leidet es auch, aber wir können beide nichts dagegen tun, so wie Bellona nun einmal ist. Aber vielleicht begehe ich auch einen für Politiker normalen Fehler. Ich neige dazu, alle Ihre Probleme als Dinge einer kleineren Dichtung zu sehen, ein bißchen >Wahrheit< mit Betonung auf dem letzteren.« Er machte eine Pause, und ich überlegte. Er war zuerst wieder da: »Sie sagen, Sie sind an den außerliterarischen Gegebenheiten Ihres Werks nicht interessiert - ich nehme mal an, wir beide meinen damit Ruhm, Prestige, aufmerksame Heldenverehrung und die unvermeidlichen Verzerrungen davon - alle diese Dinge, die das Interesse des Publikums am Autor fördern, wenn das Werk selber zu wünschen übrigläßt. Und dann sagen Sie mir, daß sie übrigens nicht mehr am Werk selber interessiert seien - denn wie sonst soll ich eine solche Aussage verstehen: >ich bin kein Dichter mehr< ? Sagen Sie mir - und ich frage Sie als Politiker, und ich weiß die Antwort wirklich nicht -, kann ein Autor wahrhaftig an seinem Werk interessiert sein und nicht an diesen anderen Dingen? Ein Politiker - das schwöre ich - kann nicht aufrichtig (oder besser wirkungsvoll) an seiner Gemeinde interessiert sein, wenn er nicht zumindest den Erfolg wünscht (ob er ihn nun bekommt oder nicht). Zeigen Sie mir jemanden, der das nicht will (ob er es bekommt oder nicht), und ich zeige Ihnen jemanden, der die Juden einfach so umbringen will und Jerusalem erobert und als Reservoir für heiliges Wasser ausbaggern läßt.«
»Bei Künstlern geht das«, antwortete ich. »Einige sehr gute Kaiser waren Mäzene einiger sehr guter Dichter. Aber noch viel mehr gute Dichter haben sich ohne das Patronat von Kaisern oder überhaupt irgend jemandem entwickelt, ob gut oder schlecht. Okay: Ein Dichter ist an all diesen Dingen interessiert: Ruhm, Ruf, Image, aber als selbstverständliche Dinge des Lebens. Er muß eine Persönlichkeit sein, die ganz genau weiß, was sie tut. Interesse daran, wie das funktioniert, ist die eine Sache. Es wollen ist etwas anderes - das würde jegliches Verständnis, wie so was funktioniert, zerstören. Aber es ist interessant. Doch ich will das nicht.«
»Und jetzt lügen Sie? - Wieder, wie Sie es formulierten. Sie frisieren es - so würde ich es formulieren.«
»Ich frisiere es«, antwortete ich. »Aber . . . immerhin schreibe ich auch.«
»Wirklich? Was für eine Überraschung! Nun, ich habe wohl schon genügend schreckliche Dinge von Männern und Frauen gelesen, die ein einziges lesenswertes Werk zustande gebracht haben, um zu wissen, daß die Gewohnheit, Worte zu Papier zu bringen höllisch mühselig sein muß - Aber Sie machen es sehr schwierig für mich, meine versprochene Objektivität aufrechtzuerhalten. Sie werden gemerkt haben, wenn auch nur aus meiner euphemistischen Journaille, daß ich alle möglichen Arten literarischer Theorie verbrate - ein Mangel, den ich mit Caesar, Karl dem Großen und Winston Churchill gemein habe (von Nero und Heinrich dem Achten ganz zu schweigen): Jetzt möchte ich Ihre Gedichte lesen, aus dem einfachen Wunsch, zu helfen! Und genau das ist der Punkt, von dem Politiker, die davon überzeugt sind, ihre Motive seien grundsätzlich wohlwollender Natur, ihre Hände lassen sollen: Weg, weg, weg! Warum sind Sie unzufrieden?«
Ich zuckte die Achseln, merkte, daß er es nicht sehen konnte und fragte mich, wieviel von ihm hinter dem Mauerwerk verlorenging. »Was ich schreibe«,
Weitere Kostenlose Bücher