DHAMPIR - Blutsverrat
schluchzenden Adligen in der Gasse beobachtet hatte, waren in ihm Bilder entstanden, die fehlende Erinnerungen ersetzten.
Sie zeigten ihm Wynn, die an seiner Leiche weinte.
Chap platzte fast vor Zorn, als die Präsenz des Untoten aus seiner Wahrnehmung verschwand. Er konnte riechen, in welche Richtung die Kreatur geflohen war, und mehrmals lief er in der Gasse hin und her. Die Spur endete an der Rückwand eines Gasthofs, aber das ergab keinen Sinn. Wenn sich der Untote darin befand, so hätte er ihn gespürt, wie eine schmerzhafte Wunde im Geist der Welt.
Enttäuschung war eine weitere unangenehme Sache, die eine fleischliche Existenz mit sich brachte, und mit jedem verstreichenden Jahr fiel es Chap schwerer, damit fertig zu werden. Er fletschte die Zähne, knurrte und versuchte, die Frustration aus sich herauszulassen. Aber die Enttäuschung ließ ihn nicht los, als er sich im Kreis drehte.
Vielleicht hatten die Feen recht mit ihrem Vorwurf. Vielleicht hatte ihn die Fleischwerdung verändert.
»Hast du die Spur verloren?«, keuchte Leesil.
Chap bellte zweimal für »nein« und dann noch dreimal, leise und grollend, um Ungewissheit zum Ausdruck zu bringen. Er sah zu Magiere hoch und fragte sich, ob sie noch die Präsenz des Untoten fühlte. Seine Enttäuschung löste sich auf und wich Anspannung.
Magieres Augen waren schwarz, und auf den Wangen zeigten sich feuchte Tränenspuren. Jeder Atemzug zischte zwischen den zusammengebissenen Zähnen, und deutlich sah Chap die langen Eckzähne. Sie zitterte und versuchte, sich wieder ganz unter Kontrolle zu bekommen.
Chap näherte sich ihr vorsichtig, dazu bereit, sie aufzuhalten, wenn sie plötzlich Leesil angreifen sollte.
»Spürst du etwas?«, fragte Leesil.
Chap sah ihn kurz an, doch Leesils Worte galten nicht ihm. Das Gesicht des Halbelfen war voller Sorge, und er erwiderte Chaps Blick nicht. Chap schaute wieder zu Magiere und konnte ein leises Knurren nicht zurückhalten.
Sie starrte Leesil an und keuchte, aber nicht, weil sie außer Atem wa r – etwas ging in ihr vor. Chap hörte, wie sich der hinter ihm stehende Leesil in Bewegung setzte und näher trat. Er spannte die Muskeln, dazu bereit, sich auf Magiere zu stürzen und sie zu Boden zu reißen.
»Magiere?«, fragte Leesil sanft. »Spürst du etwas?«
Der Blick ihrer schwarzen Augen richtete sich auf Leesil, und plötzlich veränderte sich ihr Gesicht.
Die Falten verschwanden aus ihrer Stirn, und sie atmete ruhiger, gleichmäßiger, obwohl ihre Zähne unverändert blieben. Sie war wie ein Raubtier, das etwas ansah, das sie mit Sehnsucht erfüllte.
Magiere senkte den Blick und hob nachdenklich die freie Hand vor den Mund.
»Nei n … nichts«, sagte sie; ihre Stimme war ein lautes Flüstern.
Leesil trat um Chap herum und griff nach Magieres erhobener Hand. Behutsam drückte er sie nach unten.
»Ich sehe es nicht zum ersten Mal«, sagte er. »Du brauchst es nicht vor mir zu verbergen.«
Magiere umklammerte Leesils Finger und blinzelte langsam. Sie wirkte jetzt müde, als kostete die Trennung von ihrem Dhampir-Wesen mehr Kraft als die Jagd.
»Ich spüre nichts«, sagte sie deutlicher und sah auf Chap hinab. »Wo hast du ihn zum letzten Mal gerochen?«
Magieres Zähne schienen sich zurückgebildet zu haben, aber ihre Augen waren noch immer schwarz. Chap jaulte und schüttelte sich.
Wenn er jemanden oder etwas verfolgte, verließ er sich hauptsächlich auf seine Nase, aber bei einem Untoten fühlte er die Präsenz. Er lief zur Mitte der Gasse zurück, dorthin, wo die Spur hinter dem Gasthof endete. Hier hatte er die Nähe des Geschöpfs noch gefühlt und im nächsten Augenblick nichts mehr.
Chap sah, dass Magiere ebenso enttäuscht war wie e r – sie hielt das Falchion fest in der einen Hand. Es war sehr ärgerlich, so nahe an den Untoten herangekommen zu sein, ohne Gelegenheit zu erhalten, ihn zu vernichten, und sein Entkommen bedeutete, dass vielleicht noch mehr Unschuldige starben. Die Feen sprachen in diesem Zusammenhang vom Lauf des Schicksals, aber Chap wollte nicht glauben, dass irgendein Leben in dieser Welt so wenig zählte, selbst im Gleichgewicht der Ewigkeit.
Leesil ging neben ihm in die Hocke. »Es ist meine Schuld. Ich hätte die Ölflasche nach ihm werfen sollen. Aber er hat sich den Bolzen zu schnell aus dem Leib gezogen.«
Magiere versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Wie hast du es geschafft, vor uns hierher zu gelangen.«
»Indem ich eine Abkürzung genommen habe. Ich bin
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