DHAMPIR - Blutsverrat
Leesil.
Manchmal setzten Darmouths Zwangsrekrutierer Hunde ein, um Deserteure aufzustöbern. Leesil schlug ebenfalls die Kapuze zurück, und zum Vorschein kam ein grauer Schal über Haar und Ohren. Chap war aufgestanden, und Leesil sorgte dafür, dass er sich wieder hinlegte.
»Hallo!«, rief er. »Gibt es die Möglichkeit, hier zu übernachten? Wir können mit Geld oder Lebensmitteln bezahlen.«
Der Junge blinzelte zweimal und runzelte argwöhnisch die Stirn. Aber er setzte sich wieder in Bewegung und humpelte dem Karren entgegen.
»Willem!«
Eine Frau in geflicktem Wollrock und verschlissenem Umhang kam aus der Tür der nächsten Hütte. Sie packte den Jungen an den Schultern und wich zurück. Ihr Haar war so schmutzig, dass Leesil die Farbe erraten musste: vermutlich ein mattes Braun. Es blitzte in ihren Augen, als sie Leesil ansa h – ihr Zorn war ihm lieber als Furcht.
»Sie möchten hier nur übernachten, Mama«, sagte der Junge. In der linken Hälfte seines Munds fehlten mehrere Zähne. »Sie können mit Essen bezahlen.«
Die auf dem Kutschbock sitzende Magiere beugte sich ein wenig vor. »Wir sind nach Venjètz unterwegs, aber die Nächte sind zu kalt geworden. Wir können getrocknete Lebensmittel für eine Unterkunft anbieten.«
Der Hinweis auf Bezahlung vertrieb einen Teil des Misstrauens der Frau. Sie sah Taff und Teufelchen an und schürzte nachdenklich die Lippen. Beide Pferde waren gesund und hatten ein dichtes graues Fell.
»Wir können sie verstecken«, sagte Willem.
Seine Mutter hob das Kinn und richtete den Blick auf Magiere. Sie bewegte sich wie eine Frau Ende zwanzig, doch es zeigten sich bereits graue Strähnen in ihrem verfilzten Haar. In Augen- und Mundwinkeln hatten sich erste Falten gebildet. »Wir nehmen euch auf, aber tut, was mein Sohn sagt, oder ihr findet morgen früh vielleicht eure Pferde nicht wieder.«
Magiere kletterte vom Kutschbock hinunter. Leesil sprang hinten vom Karren und griff nach den Halftern von Taff und Teufelchen. Als er Pferde und Wagen zu Fuß durchs Dorf führte, sah er nirgends Tier e – keine Hühner, Schweine oder Kühe, nicht einmal eine Ziege oder ein Schaf.
Die Frau sah ihn an und erriet seine Gedanken. »Soldaten haben alles mitgenommen. Und wenn sie zurückkehren und eure Pferde finden, nehmen sie auch die.«
»Sollen sie es versuchen«, erwiderte Magiere und wölbte kurz die Brauen.
Einige weitere Dorfbewohner kamen aus Häusern und Hütten und näherten sich vorsichtig den Fremden. Es waren alles Frauen und Kinde r – bis auf einen dürren alten Mann. Das kurz geschorene weiße Haar und der gestutzte Bart wiesen darauf hin, dass er einer der wenigen Männer sein mochte, die ihre Zeit beim Militär überlebt hatten und entlassen worden waren. Er trug einen pelzbesetzten Lederumhang, und eine alte Narbe reichte über den rechten Unterarm bis zum Handrücken.
»Wen haben wir hier, Helen?«, fragte er mit brüchiger Stimme.
»Reisende, die für eine Übernachtung bezahlen können.«
»Versteckt besser die Pferde«, sagte der Alte. »Und auch den Karren.«
Helen antwortete nicht. Sie hielt es offenbar für unnötig, etwas zu bestätigen, was sie längst wusste.
Ein breiter Hauptweg führte durch das Dorf mit vier Abzweigungen, die kaum mehr waren als Trampelpfade. Leesil entdeckte ein Räucherhaus für die Trocknung von Fleisch, aber so spät im Jahr wurde es nicht mehr benutzt. Nur ein einziges Gebäude zeigte Leben: ein Haus mit Bündeln aus Eschenzweigen neben dem Eingang, in dem eine Plane aus Rehleder hing. Drei ältere Frauen saßen dort auf einer Bank, spalteten Federn und schnitten sie zu.
»Macht ihr Pfeile?«, fragte Leesil.
»Die Pfeilspitzen können wir nicht mehr herstellen«, sagte Helen. »Mein Vater war der Schmied, und deshalb haben die Soldaten ihn hiergelassen, als ich noch ein Kind war. Er lehrte mich, richtige Pfeilschäfte zu machen, und ich hab’s den anderen beigebracht. Hauptmann Kévoc kommt einmal im Monat, und in einigen Tagen wird er wieder hier eintreffen. Er behandelt uns fai r … oder doch fairer als die meisten anderen.«
Leesil sah zu Chap und Wynn zurück, die noch immer auf dem Karren saßen. Die junge Weise schaute sich im Dorf um, und als sie in seine Richtung sah, ging ihr Blick über ihn hinweg. Sie hob die Hand und deutete hinter ihn, und Leesil drehte sich um.
Auf der anderen Seite des Dorfes kamen fün f … nein, sechs Männer aus dem Wald. Die meisten von ihnen trugen Lederrüstungen aus
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