DHAMPIR - Blutsverrat
Schlosses in der hohen Außenmauer.
Das Tor bestand aus zwei eisernen, verzierten Flügeln, die oben spitz zuliefen. Dahinter führte eine breite Treppe zu einem zweiten, ähnlich beschaffenen Tor. Rostflecken hatten sich darauf gebildet, aber die beiden Torhälften waren massiv und fest verschlossen. Jeder der hohen Türme trug eine konische Spitze, und Vorhänge aus Eiszapfen hingen von den Dachrändern herab.
Als er sich näherte, schwang der linke Torflügel von ganz allein auf, an Angeln, dicker als sein Bein. Drei Raben saßen auf der Mauer und starrten mit ihren Knopfaugen auf ihn herab. Einer krächzte aufgeregt. Hinter dem Tor bedeckte Schnee den leeren Hof und bildete nach Jahren der Kälte eine feste Kruste. Mit Ausnahme der Wege und Stufen.
Die Steine vom Tor die Stufen hinauf bis zur großen Eisentür blieben ohne Schnee. An diesem Ort war jemand … oder etwas.
Er trat durchs Tor.
Welstiel öffnete die Augen. Das Schloss löste sich auf und verschwand.
»Nein! Zeig mir mehr!«
Welstiel kam auf die Beine, sah sich um und versuchte, sich zu orientieren. Die letzte Dämmerung kehrte in sein Gedächtnis zurück.
Chane und er hatten eine alte Hütte gefunden und entschieden, dort den Tag zu verbringen, auf dem Boden liegend und nur von ihren Mänteln bedeckt. Zerbrochenes Geschirr bot den einzigen Hinweis darauf, dass hier einmal jemand gewohnt hatte. Abgesehen davon war nichts zurückgeblieben, weder Stühle noch ein Tisch oder ein Kochtopf.
ZumerstenMalhatteWelstielsTraumherrinihmdenOrtgezeigt,wosichbefand,wasersuchte,einunbekannterSchatz,derseineabscheulicheExistenzverändernkonnte.Erzweifeltenichtdaran,auchwennernochüberraschterundenttäuschterwaralsjemalszuvor.SeiteinigenMondenflüstertedieTraumherrinvoneiner»Kugel«,wennsiedenSchatzmeinte.WelstielhattesichweitereInformationenerhofft.
Doch dieser Traum war anders gewesen als die anderen. Die Traumherrin hatte kaum etwas gesagt, ihm dafür etwas gezeigt. Welstiel hatte eine alte, vergessene Festung gesehen und würde sie wiedererkennen, wenn er sie fand. Aber warum war die Vision plötzlich zu Ende gegangen, als er das Tor durchschritten hatte? Das Warten und die vielen schwer zu verstehenden Hinweise belasteten ihn immer mehr.
Er trat zur leeren Türöffnung der Hütte und sah nach draußen. Chane war nirgends zu sehe n – vermutlich jagte er. Welstiel setzte sich; ihm fehlte die Kraft, nach seinem Reisegefährten zu suchen. Seit sie Dröwinka verlassen hatten, war er fast jede Nacht mit der gleichen Erinnerung erwacht.
Im Wald von Apudâlsat hatte er beobachtet, wie sich Magiere und Chap Ubâd genähert hatten, dem alten Bediensteten und Vertrauten seines Vaters. Der verrückte Nekromant hatte gerufen: »Il’Samar! Komm zu deinem Diener und hilf ihm!«
Und im Wald war etwas erschienen, ein dunkler Schlangenleib, der die ganze Lichtung umgab. Der von Ubâd genannte Name klang unvertraut für Welstiels Ohren, aber das Wesen erkannte er sofort wieder. Es war die Traumherrin, die im Schlaf zu ihm flüsterte. Sie verließ Ubâd, als Chap dem verdorrten alten Intriganten die Kehle zerfetzte.
Wie der Schlangenleib außerhalb von Welstiels Träumen erscheinen konnte, war rätselhaft genug, aber in welcher Verbindung hatte Ubâd mit jenem Wesen gestanden? Besonders beunruhigend fand Welstiel, dass die Traumherrin Ubâd in dem Moment verlassen hatte, als er sie am meisten gebraucht hätte.
»Aber mich hat sie nicht aufgegeben«, flüsterte er sich selbst zu.
Er glaubte daran, dass die Stimme in seinen Träumen ihm den Weg wies und seine Schritte lenkte. Bald brauchte er neue Nahrung und musste sich wieder erniedrigen, Blut zu trinken. Die Macht der Kugel würde ihn irgendwie davor bewahren. Seine Sehnsucht nach Freiheit war ein Schmerz, der ihn ständig begleitete.
Und doc h … Ubâd war auf der Lichtung verraten und im Stich gelassen worden. Welstiel versuchte, nicht daran zu denken.
Die Traumherrin hatte Magiere »Schwester der Toten« genannt. Welstiel hatte sie jahrelang insgeheim manipuliert als ein seinen Plänen dienliches Werkzeug, und ihre Rolle war immer deutlicher für ihn geworden. Auf dem Weg zum Schloss hatte kein Schnee gelegen. Etwas schien dort zu wohnen, und deshalb brauchte er jemanden, der Tote bezwingen konnte.
Welstiel stand auf, streifte den Mantel über, strich das Haar nach hinten und verließ die Hütte. Winzige Schneeflocken trieben durch die Dunkelheit. Es wurde Zeit, dass er nach seinem eigensinnigen
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