DHAMPIR - Dunkelland
Über ihnen erschienen durchsichtige Gesichter, verschwommen und von Kummer und Leid gezeichnet. Geister der Toten versammelten sich in der Nähe des alten Nekromanten, lösten sich dann einer nach dem anderen von ihm und huschten Bryens Gegner entgegen.
Der erste Geist bohrte sich in den Gefangenen. Er erzitterte, schlug aber weiterhin mit seinen großen Fäusten auf Bryen ein. Ein weiterer Geist drang in den Körper des kleinen, breiten Mannes ein, dann noch einer, und schließlich schrie er voller Schmerz.
»Hilf mi r – jetzt!«, rief Ubâd. »Nimm ihm den Atem!«
Welstiel blinzelte kurz, bevor er verstand. Etwas so Einfache s – er hätte selbst darauf kommen sollen. Doch die Zauberei gehörte nicht zu seinen Stärken. Er streckte die gewölbten Hände aus, die Innenflächen einander zugewandt, und hob sie, bis er den Gefangenen zwischen ihnen sah. In Gedanken formte er die Linien, Formen und Symbole, legte sie vor das, was ihm die Augen zeigten, und begann mit einem leisen magischen Gesang.
Die Luft zwischen seinen Händen drängte nach vorn, aber er hielt sie wie ein kleines, zappelndes Tier fest. Er verabscheute es, Ubâd zu helfen, wollte jedoch seinen Vater retten.
Noch ein Geist traf den breiten Mann. Er öffnete den Mund, um zu schreien, aber es kam kein Laut daraus hervor. Der Gefangene schwankte und griff sich mit beiden Händen an den Hals.
Welstiel konzentrierte sich so sehr, dass er Kopfschmerzen beka m – seine Beschwörungen saugten dem Gefangenen die Luft aus den Lungen. Welstiels Vater musste sich nicht mehr verteidigen und nutzte die Gelegenheit zu einem wuchtigen Hieb an den Unterkiefer seines Gegners, während zwei weitere Geister in der buckligen Gestalt verschwanden.
Der Gefangene verdrehte die Augen, als er nach Atem rang, und er fiel zu Boden. Einen Moment später war Bryen auf ihm, griff nach den Ketten und zog damit die Arme seines Widersachers nach hinten.
»Lass ihn am Leben«, sagte Ubâd.
Welstiel beendete die Beschwörung. Sein Vater drückte den Gefangenen mit dem Bauch an den Bottich und zwang ihn, sich nach vorn zu beugen. Bevor Welstiel noch verstand, was geschah, schnitt Ubâd dem breiten Mann mit einem krummen Dolch die Kehle durch.
Der ungeschlachte Mann setzte sich verzweifelt zur Wehr, als er die Klinge fühlte, und Bryen legte sein volles Gewicht auf ihn. Das Blut des Gefangenen floss in den Bottich, und es dauerte nicht lange, bis er erschlaffte. Bryen richtete sich auf und ließ die Leiche zu Boden sinken.
Welstiel sah die Augen des Toten: Kleiner und dunkler als die des Elfen blickten sie leer zur Decke hoch. Die Lippen waren zusammengepresst, das Gesicht zu einer Grimasse erstarrt. Blut verklebte den dichten Bart bis hin zur Brust.
»Gut gemacht, mein Sohn«, sagte Bryen. »Der Zwerg hat uns weitaus mehr Schwierigkeiten gemacht, als wir erwartet haben.«
Welstiel begriff plötzlich, was gerade geschehen war, und er hatte das Gefühl, dass von Bryens anerkennendem Blick eisige Kälte ausging. Lord Massing führte ein unnatürliches Leben, doch dieses gedankenlose Vergießen von Blut schockierte Welstiel. Das vor ihm stehende Etwas, das ihn leidenschaftslos lobte, war weniger sein Vater als jemals zuvor.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, drängte Ubâd. »Es hat begonnen, und das bedeutet: Wir müssen die Vorbereitungen sofort vollenden.«
Bryen warf dem Nekromanten einen verärgerten Blick zu, nickte aber. Ohne ein weiteres Wort zu Welstiel ging er zu der käfigartigen Kiste mit den Drillichplanen. Dort zog er seinen Dolch und schnitt eine Seite auf. Der Stoff gab nach und fiel zur Seite.
Welstiel sah die Gefangene.
Sie wirkte sehr zart und war nicht mit eisernen Schellen gefesselt, sondern mit Lederriemen. Voller Furcht hatte sie sich in der hinteren Ecke zusammengekauert, aber Welstiel wusste, dass sie ihm stehend kaum bis zum Brustbein gereicht hätte.
Mit ihrer schlanken Geschmeidigkeit schien sie das genaue Gegenteil des breiten, schwerfälligen Zwerges zu sein. Selbst neben dem toten Elfen hätte sie zart gewirkt. Ihre beiden Augen, voller Entsetzen aufgerissen, waren ohne Iris und ganz schwarz wie die eines Spatzen. Die dunklen Ringe darunter zeigten, dass sie seit Tagen nicht geschlafen hatte. Von den schmalen Füßen bis zum Kopf mit dem fedrigen Haar: Alles an ihr schien flaumig zu sein, bis auf einige Stellen, an denen der Flaum abgescheuert wa r – dort zeigte sich cremefarbene Haut.
Die aus ihrem Rücken ragenden grau und weiß
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