Dhampir - Halbblut
Rashed.
»Wenn wir verschwinden, halten uns die Stadtbewohner für tot«, beharrte Teesha. »Dann lässt uns die Jägerin in Ruhe.«
Zum ersten Mal richtete Rashed scharfe Worte an sie. »Sie lässt uns erst dann in Ruhe, wenn sie in einem Grab liegt!«
Rattenjunge wich zurüc k – der Zorn überraschte selbst ihn. Rashed öffnete die Luke.
»Kommt. Wir müssen feststellen, was mit dem Lagerhaus passiert ist.«
Teesha war nicht zorni g – derartige Empfindungen konnte sie Rashed nicht entgegenbringen. Aber sein Verhalten verunsicherte sie, und sie wünschte sich, dass er Miiska und die Jägerin weit hinter sich ließ. Ihre Klinge durfte nie wieder in seine Nähe geraten.
Es wäre besser gewesen, wenn sie sich still und leise auf den Weg gemacht hätten. Andererseits: Er war der Anführer, und sie selbst hatte dabei geholfen, ihn in diese Position zu bringen.
Ihr und Rattenjunge blieb nichts anderes übrig, als ihm nach draußen zu folgen.
Rattenjunge schien nicht in der Lage zu sein, Rashed so etwas wie Mitgefühl entgegenzubringen, aber als sie alle die Reste ihres einstigen Zuhauses betrachteten, wurde ihm klar: Sein Gefühl des Verlustes war viel geringer als das des großen Kriegers, dessen Gesicht ausdruckslos blieb.
Eswarnichtsübrig.Siehocktenhintereinergroßen,halbverkohltenKisteundblicktenaufeinengroßenHaufenAsche.DieTunneldarunterexistiertenwahrscheinlichgarnichtmehr.WennRashednichtdengeheimenGangzumStrandangelegthätte,wärensiejetztalleunterherabgestürztenErdmassenbegraben.Odersiewärenvielleichtebenfallsverbrannt,wieallesandere.
Und genau darin lag Rasheds Dilemma.
Rattenjunge wusste, dass Teesha recht hatte. Sie sollten Miiska noch in dieser Nacht verlassen und die Reise auf der Straße riskieren, unterwegs Blut trinken und sich neu ausrüsten. Aber so sehr er Rasheds arrogantes Gebaren auch verabscheute: Wenn es um ihr Überleben ging, war ihnen ihr Anführer immer einen Schritt voraus.
Es war eine Frage der Motivation. Rashed behauptete, dass sie nur dann wirklich sicher sein konnten, wenn sie die Jägerin töteten. Wenn das stimmte, würde Rattenjunge bleiben und kämpfen. Aber an diesem Abend wirkte Rashed weniger rational als sonst. Es schien ihm mehr um Rache zu gehen. Rache war ein Luxus, und an Luxus war Rattenjunge nicht interessiert.
Und was genau trieb Teesha zur Flucht? Der vernünftige Wunsch nach Überleben? Oder ging es ihr nur darum, Rashed von einem weiteren Kampf gegen die Jägerin abzuhalten? Manchmal glaubte Rattenjunge, dass er Teesha viel besser verstand als Rashed. Ihr Anführer hielt Teesha für ein entzückendes Geschöpf, für das zarte Herz ihrer Gemeinschaft, das geschützt werden musste. Rattenjunge wusste, dass sie zu Anteilnahme und auch Liebe fähig war, aber sie hatte sich immer von ihren eigenen Wünschen leiten lassen und es verstanden, Rashed zu ihrem willfährigen Werkzeug zu machen.
Doch in letzter Zeit war ihr Verhalten schwer zu deuten. Rattenjunge gewann den Eindruck, dass ihre Gefühle für Rashed den Überlebensinstinkt überflügelten.
Und den persönlichen Groll gegen Rashed einmal beiseitegenommen: Rattenjunge wusste, dass er durchaus nützlich war. Außerdem lag ihm nichts daran, allein zu sein. Er wollte, dass die Jägerin keine Gefahr mehr für ihre Existenz darstellte, doch welcher Weg war besser? Sollten sie fliehen oder kämpfen?
Kühler Wind wehte vom Meer, wirbelte dort, wo das Lagerhaus gestanden hatte, schwarzen Staub auf und trug ihn fort.
»Oh Rashed«, sagte Teesha mit aufrichtigem Kummer, als sie die Reste ihres Zuhauses betrachtete. »Es tut mir so leid.«
»Hier finden wir nichts mehr von Wert für uns«, sagte Rattenjunge. »Sollen wir Nahrung suchen, fliehen oder versuchen, die Jägerin zu finden? Ich meine, wir sollten eine gemeinsame Entscheidung treffen, bevor wir irgendetwas unternehmen.«
Teesha schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Ihre Sorge um Rasheds geistige Verfassung wurde offensichtlich, und auch Rattenjunges Besorgnis wuchs.
»Ihr seid beide Narren, wenn ihr von ihm eine Entscheidung erwartet«, erklang eine dumpfe Stimme.
Edwan zeigte sich neben Teesha, so grässlich wie immer. Das Erscheinungsbild des Geistes bereitete Rattenjunge kein Unbehagen, aber er hatte in Edwan nie mehr gesehen als eine gelegentlich nützliche Anomalie.
Dies war eine Nacht neuer Reaktionen. Teesha runzelte fast die Stirn.
»Mein Geliebte r … «, wandte sie sich an Edwan. »Wir sind in einer ziemlich unangenehmen Situation.
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