Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
schwach, aber es roch ganz genau nach dem Blut meiner Art.«
»Wie die Schrift an den Innenwänden des Schlosses«, sagte Wynn und blickte wieder auf die Schriftrolle.
Chane erinnerte sich an den Geruch in der Feste der weißen Untoten.
»Deshalb wollte ich mir die Folianten ansehen«, erklärte er und wählte seine Worte vorsichtig. »Die Texte stammen aus der gleichen Bibliothek, und ich hoffte, mehr zu erfahren. Bisher habe ich nicht riskiert, die schwarze Schicht zu lösen, um herauszufinden, was sie verdeckt. Aber das, was du mitgebracht hast … Es bedeutet Gefahr für dich und die ganze Gilde.«
»Weißt du mehr?«, fragte Wynn. »Kennst du den Mörder?«
Ihre Worte klangen scharf, enthielten aber keinen Vorwurf, der Chane galt. Der Schmerz in seiner Brust ließ ein wenig nach.
»Nein«, antwortete er. »Zuerst dachte ich, die von dir ausgewählten Texte seien am leichtesten zu lesen. Aber das kann nicht für alle gelten, denn das Übersetzungsprojekt dauert noch an.«
»Ich habe Werke aus verschiedenen Teilen der Bibliothek gewählt«, sagte Wynn. »Meine Wahl fiel auf die ältesten Texte, vor allem auf solche, die sich leicht tragen ließen. Außerdem habe ich darauf geachtet, dass die Texte für Gelehrte, die sich mit den alten Sprachen auskennen, übersetzbar wären.«
»Inzwischen wird seit einem halben Jahr daran gearbeitet, und ein Ende ist nicht in Sicht«, sagte Chane.
Wynn zuckte die Schultern. »Die Übersetzung scheint schwerer zu sein, als ich dachte.«
»Jemand hat zu verschleiern versucht, was auf dieser Schriftrolle geschrieben steht«, sagte Chane mit Nachdruck. »Entweder der Autor selbst oder jemand anders. Der Unbekannte hat den Text geschwärzt, anstatt die Rolle zu zerstören. Ich glaube, sie ist wichtig. Immerhin wollte Li’kän, dass du sie bekommst. Vielleicht enthält diese Schriftrolle einen Schlüssel, mit dem sich andere Geheimnisse in deinen Texten aufdecken lassen. Warum sonst hat es jene schwarze Gestalt auf die Folianten abgesehen und tötet sogar für sie? Ich glaube, auch ihr fällt es schwer, das zu finden, was sie sucht.«
Chane reichte die Rolle Wynn.
Sie nahm sie entgegen und trat an ihm vorbei näher zum Stall. Sie lehnte ihren Stab an die Wand, nahm mit überkreuzten Beinen auf dem Boden Platz und öffnete die Rolle auf ihrem Schoß. Mit der einen Hand hob sie den Kristall, und mit der anderen strich sie über die geschwärzten Stellen.
»Deshalb bist du nach Calm Seatt gekommen«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Deshalb bist du mir gefolgt.«
Chane ging neben ihr in die Hocke und verschwieg den Hund, dem er an Bord des Schiffes gefolgt war.
»Domin Tilswith und die anderen Weisen in Bela hätten mir nicht getraut.«
»Darf ich die Rolle behalten, vorerst?«, fragte Wynn. »Ich möchte sie mitnehmen, um mich eingehender damit zu befassen. Vielleicht gibt es in der Gilde noch den Einen oder Anderen, der bereit ist, mir zu helfen.«
Plötzliche Sorge erfasste Chane. Es gefiel ihm nicht, sich von der Rolle zu trennen, und außerdem: Was meinte Wynn mit dem Hinweis, dass sie sich »eingehender« mit ihr befassen wollte? Und die letzten Worte deuteten darauf hin, dass sie nur wenigen Personen vertraute, selbst unter den Weisen.
Was war mit der Gilde ihrer Heimat passiert?
Er vertraute nur Wynn und klammerte sich an der Hoffnung fest, dass sie auch ein wenig Vertrauen zu ihm hatte.
»Natürlich«, sagte er und übergab ihr den Blechzylinder.
Wynn rollte das Schriftstück vorsichtig zusammen und schob es in den Zylinder. Chane bedauerte, dass er sie nicht zur Gilde begleiten konnte, als eine Person mehr, die ihr Vertrauen verdiente.
»Ich sollte jetzt besser zurückkehren«, sagte sie und erhob sich. »Wo wohnst du?«
Sie wollte ihn ganz offensichtlich verlassen. Er konnte es ihr nicht verdenken.
»Vielleicht ist es besser, wenn du das nicht weißt«, sagte er. »Ich gebe dir Bescheid, wann und wo wir uns erneut treffen können.«
Er trat auf die Straße.
»Tötest du noch immer, um zu … leben?«, flüsterte Wynn ein wenig zu laut.
Chane ging weiter und blieb erst stehen, als er die nächste Ecke hinter sich gebracht hatte. Nach kurzem Zögern beugte er sich vor, spähte in die Dunkelheit und beobachtete Wynn, bis sie außer Sicht geriet.
Wynns Herz klopfte so heftig, dass ihre Rippen schmerzten. Sie zwang sich, langsam zu gehen, ohne zurückzusehen. Die langen, klaren Linien von Chanes Gesicht hatte sie fast vergessen.
Er war Teil der
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