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Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Titel: Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barb J. C. Hendee
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über ihrem Kopf eine Lederhülle trug. Nach einigen Schritten blieb sie stehen, griff in die Tasche und holte etwas hervor. Sie rieb den Gegenstand an ihrem Mantel, und Chane begriff, dass es sich um ihren Kaltlampen-Kristall handelte. Mattes Licht kam zwischen ihren Fingern hervor, und Chane ging an der Seite der Ställe entlang bis zur vorderen Ecke.
    Wynn stand mitten auf der Straße und starrte ihn an. Dünne Falten zeigten sich auf ihrer Stirn – sie schien konzentriert zu sein.
    Ein sonderbarer Schmerz regte sich in Chanes Brust, als er ihr ovales Gesicht unter der Kapuze sah. Wynn verkörperte all das, was er in der Welt für erstrebenswert hielt – all das, was er nicht haben konnte. Schließlich setzte sie sich wieder in Bewegung, kam näher und verharrte einige Schritte vor ihm, außerhalb seiner Reichweite.
    Etwas in ihrem Gesicht hatte sich verändert, nicht die Züge selbst, aber ihr Ausdruck. Wynn wirkte älter, ernster und bitterer. Die jugendliche Neugier, das Staunen, die unschuldige Leidenschaft … dies alles schien aus ihren braunen Augen verschwunden zu sein.
    Aber das konnte er ertragen, solange er keine Furcht sah.
    »Ich habe die Weisen nicht getötet«, krächzte er auf Belaskisch. »Nicht einen von ihnen! Ich würde nie einem Gildenmitglied etwas zuleide tun.«
    Sie zuckte zusammen, und er hasste den Klang seiner Stimme mehr als jemals zuvor. Doch ihre Reaktion auf seine Worte war viel wichtiger.
    »Ich glaube dir«, flüsterte sie, doch als Chane sie musterte, sah er noch immer Zweifel. »Warum hast du mir die Mitteilung geschickt?«
    Offen und direkt war sie, kam sofort auf den Kern der Sache zu sprechen, obwohl sie sicher viele andere Fragen hatte. Warum war er hier, nach eine Reise um die halbe Welt, und was hatte er mit den gestohlenen Folianten zu tun? Doch danach fragte sie nicht. Sie behandelte ihn wie einen Fremden, und der Schmerz in Chanes Brust wurde stärker.
    Er griff unter seinen Mantel und holte den Blechzylinder mit der alten Schriftrolle hervor.
    »In jenem Schloss in den Pockenhöhen … Hast du dort das hier gesehen?«, fragte er.
    Er hatte die Rolle auf dem Boden gefunden und nie erfahren, von wem sie stammte.
    Wynn betrachtete den Zylinder verwundert, und dann wurden ihre Augen plötzlich groß, als sie den Gegenstand erkannte. Sie öffnete die Hand ein wenig, woraufhin mehr Licht von dem Kristall kam.
    »Woher hast du das?«, hauchte sie und kam noch zwei Schritte näher.
    Chane glaubte, die alte Wynn vor sich zu haben, als sie ihn voller Staunen ansah.
    »In der Nähe des Flurs außerhalb der Bibliothek«, antwortete er. »Auf dem Weg nach draußen habe ich die Rolle gefunden. Bis heute weiß ich nicht, warum ich sie aufgehoben habe.«
    Wynn streckte zögernd die Hand nach dem Blechzylinder aus. »Li’kän nahm sie aus einem Regal der Bibliothek.«
    »Li’kän?«, fragte Chane. »Die weiße Untote?«
    Wynn schien ihn gar nicht zu hören. Ihr Blick klebte an dem Zylinder, und sie schüttelte andeutungsweise den Kopf.
    »Sie ging direkt darauf zu, ohne zu suchen oder etwas anderes anzurühren«, sagte sie leise. »Sie wollte, dass ich ihr vorlese.«
    Chane zögerte, bevor er erwiderte: »Das ist unmöglich.«
    Wieder bildeten sich Falten in Wynns Stirn. Bevor sie fragen konnte, öffnete er den Blechzylinder. Wenn es um etwas Historisches ging, war sie immer fasziniert, und Chane lenkte sie gern von den anderen Fragen ab, die ihn betrafen. Er zog die Schriftrolle aus dem Zylinder und zeigte Wynn den Inhalt.
    »Dies hättest du ihr nicht vorlesen können«, sagte er.
    Wynn trat näher, hielt den Kristall über die Schriftrolle und sah die vielen geschwärzten Stellen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie und strich mit dem Finger über einen der schwarzen Bereiche.
    »Es befindet sich etwas darunter«, sagte Chane. »Mit dem Blut eines Edlen Toten geschriebene Zeichen.«
    Wynn hob den Blick, und etwas Farbe wich aus ihrem Gesicht.
    »Woher willst du das wissen?«, fragte sie.
    »Ich rieche es.«
    Zweifel und Argwohn kehrten in Wynns Augen zurück. »Die Schriftrolle ist uralt. Kein Geruch hält sich so lange. Niemand könnte so etwas riechen, nicht einmal … jemand wie du.«
    Chane versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen. Jemand wie du. Vermutlich hatte sie etwas wie du sagen wollen: ein Untoter mit den Sinnen eines Tiers.
    »Ich habe es erst gerochen, als ich fast damit fertig war, das Leder der Schriftrolle wieder geschmeidig zu machen. Der Geruch war sehr

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