Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Fremde kam auf sie zu, streckte ihr eine schwarze Hand entgegen.
Wynn drehte sich erneut um und lief in die einzige Richtung, die ihr noch blieb: in die Gasse.
Sie rannte, so schnell sie konnte, und rechnete jeden Augenblick damit, dass die schwarze Gestalt vor ihr erschien. Nach kurzer Zeit erreichte sie das andere Ende der Gasse und sah sich dort auf der offenen Straße nach einem Versteck um.
Nirgends brannte Licht hinter Fenstern, und es gab keine Tavernen oder Wirtshäuser in der Nähe, in denen sie Zuflucht suchen konnte. Dunkle Gebäude standen zu beiden Seiten der Straße, unter ihnen ein Kurzwarenladen mit Mülltonen vor der Tür.
Wynn blickte in die Gasse zurück.
Dunkelheit rollte ihr entgegen und verschlang das Licht der wenigen Straßenlaternen. Völlig lautlos kam die schwarze Gestalt aus der Gasse.
Eisige Kälte erfasste Wynn, und sie schnappte nach Luft, wich zur anderen Seite der Straße zurück. Ein Heulen hallte durch die Straße, und Wynn drehte den Kopf, als ihr ein Schemen entgegenhuschte.
Ein dunkelgrauer Wolf sprang vor der schwarzen Gestalt hin und her. Er hatte die Ohren angelegt, fletschte die Zähne und knurrte.
Wynn blinzelte, als die finstere Gestalt einen Schritt zurückwich, und der große Wolf – er war zu groß – sich zur Seite wandte.
Sie sah die Ohren und die lange Schnauze. Und Augen, die wie helle Saphire glänzten.
Augen, die denen Chaps ähnelten.
Es war ein Majay-hì, aber nicht Chap.
Ein Zischen strich durch die Gasse, wie von tausend flüsternden Stimmen. Der Wolf sprang erneut auf die schwarze Gestalt zu.
»Nein«, hauchte Wynn. »Lass dich nicht auf einen Kampf ein.«
Die Kälte ließ nach, als der dunkle Fremde noch weiter zurückwich.
Wynn beobachtete den knurrenden Wolf.
Wie konnte solch ein Tier hier sein, und warum? Chap war der einzige ihr bekannte Majay-hì, der das Reich der Elfen verlassen hatte. Im Gegensatz zu seinem silbernen Fell hatte das dieses Majay-hì ein so dunkles Grau, dass es fast schwarz wirkte. Hier und dort schimmerte es darin.
Wynn hatte plötzlich Angst um diesen Wolf oder Hund, der so weit von seiner Heimat entfernt war. Und ihre einzige Waffe, mit der sie sich selbst und den Majay-hì verteidigen konnte, war der Stab. Sie hatte ihn für den Fall mitgenommen, dass sich Chane als Gefahr erwies. Il’Sänke hatte sie versprochen, den Stab nur unter seiner Aufsicht zu benutzen. Sie war nicht einmal sicher, ob sie ihn allein benutzen konnte .
Die schwarze Gestalt glitt zur Seite und versuchte, an dem Hund vorbeizukommen, und allein die Lautlosigkeit dieser Bewegung erschreckte Wynn. Der Majay-hì versperrte der Schattengestalt erneut den Weg, und daraufhin schlug der Fremde mit einer Hand nach seinem Kopf.
»Nein!«, entfuhr es Wynn.
Der Hund wich dem Schlag aus und biss zu – seine Zähne bohrten sich in die von schwarzem Stoff umhüllten Finger. Wynn hörte ein Klacken, als ob die Zähne überhaupt nichts zu fassen bekämen.
Die schwarze Gestalt zog ihre Hand zurück, und Wynn beobachtete, dass die Finger wie vor Schmerz zitterten.
Ein gespenstisches Kreischen erklang, übertönt vom Heulen des Hunds. Der Majay-hì wich zurück, und aus seinem Heulen wurde ein Jaulen.
Wynn war so überrascht, dass sie Stab und Kristall vergaß.
Ein untoter Magier, mit der Fähigkeit, dem eigenen Körper die Stofflichkeit zu nehmen … Doch die Zähne des Majay-hì schienen ihn berührt und verletzt zu haben, wobei der Schmerz nicht nur die schwarze Gestalt betraf, sondern auch den Hund. Die beiden Gegner belauerten sich, und Wynn versuchte, sich von ihrem Zischen und Knurren nicht ablenken zu lassen.
Sie zog das Leder vom Sonnenkristall.
Wieder schloss sie beide Hände um den Stab, senkte die Lider und rief sich ins Gedächtnis, was sie von Domin il’Sänke gelernt hatte.
Keine Zauberformel, sondern eine Reihe von Gedanken und Symbolen, von der Stimme verstärkt. Sie neigte den oberen Teil des Stabs nach vorn, konzentrierte sich und ließ den Kristall vor ihrem inneren Auge erscheinen.
»Von Geist … «, flüsterte sie, und ein Kreis umgab den Sonnenkristall in ihrer Vorstellung. »… zu Feuer … « Sie fügte dem Kreis in ihrem Innern ein Dreieck hinzu. »Für das Licht … « Im ersten Dreieck erschien ein zweites, auf dem Kopf stehend. »… des Lebens.«
Ein letzter Kreis entstand im Zentrum des Musters, auf dem Bild des Kristalls. Wynn achtete darauf, dass es nicht verblasste.
Sanfte Wärme breitete sich in ihrem Gesicht
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