Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
antworteten sie, aber Lúcan sah dabei Garrogh an.
»Ich kümmere mich darum«, sagte Garrogh. »Macht weiter. Findet die lästige kleine Weise.«
Rodian atmete tief durch. Er war nicht der Einzige, der unter Druck stand. Hatte er den Stress, unter dem er stand, vielleicht an seine Männer weitergegeben? Ohne guten Grund hatten die beiden Wächter ihren Posten bestimmt nicht verlassen.
Rodian stieg ab, überließ Schneevogels Zügel Garrogh und ging über den Hof.
Als er den Haupteingang erreichte, klopfte er an und wartete trotz seiner Ungeduld. Der junge Lehrling, der ihn am vergangenen Tag zum Hospiz geführt hatte, streckte den Kopf durch die Tür.
»Ah, Ihr seid’s, Herr.« Der junge Mann öffnete die Tür. »Soll ich Euch ankündigen? Möchtet Ihr zu Domin Hochturm?«
»Nein, ich bin gekommen, um mit der Reisenden Hygeorht zu reden«, sagte Rodian und trat ein. Er war noch nicht sicher, wo er mit der Weisen sprechen wollte; vielleicht hatte sie eine Idee.
Der Lehrling blinzelte unsicher. »Einen Moment, Herr. Ich sehe nach, ob sie da ist.«
Der Junge war höflich und sprach mit einem leichten Akzent. Rodian fragte sich, aus welcher Provinz er kam, vielleicht aus Witeny tief im Süden. Er nickte, und der Lehrling eilte über den Hof zum Wohnheim auf der südöstlichen Seite.
Rodian ging eine Weile am Haupteingang auf und ab. Einige junge Weise kamen vorbei, aber unter ihnen befand sich niemand, den er kannte. Schließlich kehrte der Lehrling zurück.
»Es tut mir leid, Herr, aber ich finde die Reisende Hygeorht nicht. Sie scheint weg zu sein. Domin Hochturm wurde gerade informiert und … «
»Nicht schon wieder!«, zischte Rodian.
Er trat an dem Jungen vorbei und ging zum Gemeinschaftsraum, und als ihn seine Schritte dort durch den großen Torbogen führten, stieß er fast gegen Hochturm. In dem Saal hielten sich viele Weise auf, die aßen, miteinander sprachen oder umhergingen.
»Wo ist sie?«, fragte Rodian.
Hochturms rotes Haar und der Bart wirkten wie aufgeplustert, und seine Wangen hatten sich gerötet. In den dunklen Augen blitzte es.
»Ihr seid nicht für uns zuständig!«, knurrte der Domin. »Ich dachte, das sei inzwischen klar geworden!«
Aber der Zwerg sah sich nervös um – Rodians Ankunft schien ihn bei etwas gestört zu haben.
»Wo ist sie?«, wiederholte Rodian und sprach etwas ruhiger. »Und wo steckt il’Sänke?«
Hochturm schnaufte laut, doch die Empörung wich aus seinen Zügen. »Ich weiß es nicht. Und ebenso wenig weiß ich, worauf Ihr hinauswollt.«
Rodian zwang sich zur Ruhe und rief: »Hat jemand heute Nachmittag die Reisende Hygeorht oder Domin il’Sänke gesehen?«
Es wurde leiser im Saal, und jemand mit näselnder Stimme antwortete: »Ich habe sie gesehen.«
Eine junge, in Braun gekleidete Frau stand auf. Sie war so dünn, dass sie fast knochig wirkte, und selbst aus der Ferne gesehen schien ihre Nase zu lang für das Gesicht zu sein.
Hochturm knurrte etwas zwischen zusammengebissenen Zähnen und eilte auf sie zu. Lehrlinge und Initiaten wichen hastig vor ihm beiseite. Rodian folgte dem Domin.
»Regina«, schnaubte Hochturm. »Wen hast du gesehen?«
»Alle drei«, sagte sie, und ihre Lippen formten ein spöttisches Lächeln. »Wynn, den Domin … und die angebliche Majay-hì. Ich habe in der Küche geholfen, als sie durchs Lagerhaus kamen. Sie gingen geradewegs zur anderen Seite, in Richtung Nordturm. Doch als ich aus dem Fenster sah … «
Hochturm richtete einen scharfen Blick auf die junge Frau.
»Als ich aus dem Fenster sah, waren sie weg«, fuhr Regina fort. »Das Hauptgebäude können sie nicht erreicht haben, dafür ging es zu schnell. Sie waren einfach nicht mehr da.«
Rodian fiel nur ein Ziel im Turm ein: Hochturms Arbeitszimmer.
»Wo seid Ihr zu jenem Zeitpunkt gewesen?«, fragte er den Zwerg.
»Natürlich in meinem Arbeitszimmer«, antwortete Hochturm. »Die Tür war offen, da ich Studenten und Lehrlingen zur Verfügung stehe. Aber ich habe niemanden gesehen oder gehört.«
»Dann gibt es da noch die Hintertür«, warf Regina ein. »Auf der anderen Seite der Küche. Durch sie gelangt man hinter das Hauptgebäude.«
Die gehässige Bohnenstange von einem Mädchen wandte sich an Rodian und fügte hinzu: »Niemand von uns soll nach Einbruch der Dunkelheit draußen unterwegs sein.«
Rodian ging nicht auf diese kaum verschleierte Anklage ein und richtete den Blick auf Hochturm. »Wenn sie hier sind, möchte ich, dass sie gefunden werden.
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