Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
war zu nahe, aber wenn Wynn den Kristall nicht jetzt sofort zündete …
Der Wrait schien wieder Substanz zu gewinnen und wandte sich ihr zu – und dem Kristall.
»Na los!«, rief il’Sänke mit brüchiger Stimme.
Aus dem Kreischen wurde ein Zischen, und die schwarze Gestalt sprang näher.
Wynn wich zur Straßenmitte zurück, und Schatten kam knurrend heran. Der Wrait zögerte und schlug nach der Majay-hì. Schatten reagierte nicht rechtzeitig, und die schwarze Hand traf sie.
Diesmal strich sie nicht durch den Körper.
Schatten jaulte, von einem Schlag getroffen, der sie von den Beinen riss.
Es blieb Wynn nicht einmal Zeit genug, einen Schrei auszustoßen, denn der Wrait wandte sich sofort wieder ihr zu. Sie versuchte, beiseitezuweichen, um Gelegenheit zu finden, den Kristall zu aktivieren.
Der Wrait blieb stehen, hielt aber die Hand, die Schatten getroffen hatte, hinter seinem Rücken. Der Arm war ausgestreckt, als würde ihn etwas festhalten. Wynn hörte einen brummenden Singsang, der von il’Sänke kam.
»In Deckung, Chane!«, rief sie.
Sie drehte nicht den Kopf, um zu sehen, ob er sich in Sicherheit brachte. Ihr Blick blieb auf den Wrait gerichtet, als sie sich den Kreis und die Dreiecke darin vorstellte, alles von einem noch größeren Kreis umgeben. Dann hielt Wynn den Stab so, dass er sich in der Mitte der Symbole befand und auf die schwarze Gestalt zeigte.
Der Wrait waberte erneut, und für einen Moment wurde er durchsichtig.
Il’Sänke hatte sie gelehrt, die entscheidenden Worte auf Sumanisch zu sprechen, in der Hoffnung, die schwarze Gestalt mit einer ihr vertrauten Sprache abzulenken.
Von Geist zu Feuer.
»Mên Rúhk el-När … «, flüsterte Wynn.
Wie auch immer il’Sänke den Wrait festhielt – er riss sich los.
… für das Licht aus …
»… Mênajil Núr’u … mêjanil … «
»Niemand rührt sich!«, rief jemand. »Bleibt stehen, ihr alle!«
Das Klappern von Hufen hinderte Wynn daran, das letzte Wort auszusprechen.
Drei Pferde näherten sich, das erste eine weiße Stute, auf der Rodian saß. Mit gezogenem Schwert ritt er zu il’Sänke.
Das Muster vor Wynns innerem Auge löste sich auf, und sie rief: »Nein, nicht er!«
Rodian hörte ein Kreischen in der Ferne, trieb Schneevogel an und sah sich plötzlich mit einer verblüffenden Szene konfrontiert.
Il’Sänke stand da, mit dem Rücken zu ihm. Ein anderer Mann hielt ein Langschwert und wankte damit an den Läden auf der linken Straßenseite entlang. Und auf der anderen Seite kam Wynns Wolf neben einer Veranda auf die Beine.
»Niemand rührt sich!«, befahl Rodian und zog sein Schwert aus der Scheide. »Bleibt stehen, ihr alle!«
Dann bemerkte er Wynn.
Sie hielt einen Stab in der Hand, mit einem Kristall am Ende, und sie trug eine sonderbare Brille mit großen Gläsern. Ihre Lippen hörten auf, sich zu bewegen, als sie sich zu ihm umdrehte, und sie schien bei seinem Anblick zu erschrecken.
Was machte sie hier mit dem Sumaner und den beiden anderen?
Il’Sänke verharrte an Ort und Stelle. Rodian konnte nicht feststellen, ob sein Blick Wynn galt oder …
Plötzlich sah Rodian die schwarze Gestalt. Zuerst hatte er sie auf der halbdunklen Straße gar nicht bemerkt, weil er von den anderen abgelenkt gewesen war. Die Kapuze drehte sich in seine Richtung.
Die Gestalt war da – und il’Sänke ebenfalls. Sie waren nicht ein und dieselbe Person. Und der Sumaner begann mit einem Singsang.
Rodian hob sein Schwert und trieb Schneevogel an. Er würde diesem Unfug ein Ende setzen.
»Nein, nicht er!«, rief Wynn.
Rodian rammte das Schwertheft gegen il’Sänkes Kopf, und Schneevogel blieb stehen, als der Domin zusammenbrach und zu Boden sank.
19
Chane wankte in die schmale Lücke zwischen zwei Gebäuden und befürchtete, dass jeden Augenblick das Licht des Kristalls aufblitzen konnte. Aber es kam nicht.
Er drückte sich an eine schmutzige Wand, hörte von der Straße Rufe, Schreie und dann das Klappern von Hufen. Es schienen noch immer Hunderte Nadeln aus Eis in seinem Körper zu stecken, als er um die Ecke spähte und das Geschehen auf der Straße beobachtete.
Schatten war wieder auf den Beinen, heulte aber nicht, sondern knurrte nur, und sie hinkte zu Wynn.
Die junge Weise stand verwirrt da und hielt den Stab. Chane sah, wie ihre Augen hinter den Brillengläsern groß wurden, als sie den Blick auf den ersten Reiter richtete.
Der Mann, den sie Hauptmann Rodian nannte – jener Mann, der die Falle beim Skriptorium
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