Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Wahrheit höherer Bildung.
Das Wissen gehörte den Begnadeten.
Nur Leute mit hoher Intelligenz eigneten sich für das höchste Wissen, zum Besten all jener, die weniger begabt waren. Alles andere hätte bedeutet, einen Esel den Karren lenken zu lassen, während der Fuhrmann Halfter und Geschirr trug. Das hohe Wissen musste einhergehen mit gesunder Vernunft, die von blinder Beachtung irgendwelcher ethischen Kodizes Abstand nahm. Ja, es gab Gesetze und Regeln, die es zu beachten galt, das verlangte sein Beruf. Aber mit dem Wissen sah die Sache anders aus.
Wenn sich doch nur Weise, insbesondere ihre Meister, Domins und Premins, seinen eigenen Brüdern anschließen würden! Dann mochte ihr Dienst für die Menschheit eines Tages reichere Früchte tragen. Doch es gab keine Weisen in seinem Tempelorden. Sosehr ihn das auch in seinem Glauben an die Gesegnete Dreieinigkeit der Vernunft betrübte – der Verlust der Weisen war größer als sein eigener.
Rodian ging mit zielstrebigen Schritten über den Hof und zur großen Doppeltür. Ein junger Weiser öffnete eifrig einen Türflügel, noch bevor der Hauptmann die Hand nach dem Eisenring ausstrecken konnte.
»Bitte folgt mir, Herr.«
Die Wärme im Innern der alten Feste, die den Kern des Schlosses bildete, war willkommen, aber Rodian achtete kaum darauf und bereitete sich innerlich auf die Begegnung mit der Premin der Katalogisierer vor, dem Oberhaupt der ganzen Gilde. Vielleicht waren auch Meister und Domins zugegen, die die beiden Opfer gekannt hatten.
Der junge Weise führte Rodian durch die große Doppeltür und dann nach links durch einen Gang. Stimmen, Schritte und andere verwirrende Geräusche kamen von vorn. Der Junge, dem Rodian folgte, eilte nach rechts, zu einem Torbogen.
Rodian betrat den großen Gemeinschaftsraum, in dessen Kamin auf der anderen Seite ein Feuer loderte. Zahlreiche in Kutten und Umhänge gekleidete Gestalten saßen an Tischen, auf denen Bücher und Pergamentrollen lagen. Zwei Jungen beendeten gerade ein frühes Mittagessen.
Alle sahen auf.
Rodian atmete tief durch. Dies war kein geeigneter Ort für eine Vernehmung.
Er achtete nicht auf die vielen neugierigen Gesichter und sah sich um, bis er Domin Hochturm an einem langen Tisch entdeckte. Der Zwerg führte kein besonders freundliches Gespräch mit dem großen Sumaner namens il’Sänke. Eine kleine, zarte Frau in grauem Gewand stand in der Nähe.
Bevor er aufgebrochen war, hatte sich Rodian mit der Hierarchie der Gildenorden vertraut gemacht. Ein langer silberner Zopf reichte der Frau über den Rücken. Premin Skyion war so schlank, dass sie fast ausgemergelt wirkte. Sie drehte den Kopf und sah in die Richtung, in die Hochturms dicker Zeigefinger deutete, und ihr Blick begegnete dem des Hauptmanns.
Rodian trat mit einem respektvollen Nicken näher und rechnete damit, dass die Frau zuerst sprach. Aber sie schwieg und hielt den durchdringenden Blick auf ihn gerichtet.
Bei der Hohen Premin Skyion spürte Rodian einen berechnenden Intellekt, was bewies, dass Ausnahmen die Regel bestätigten, soweit es die Gilde der Weisen betraf.
Er räusperte sich und fühlte den seltsamen Drang, sich für die Störung zu entschuldigen. Ein dummes Empfinden, fand er, und schob es beiseite.
Hochturm stand auf. »Was habt Ihr herausgefunden?«
Rodian schenkte ihm keine Beachtung. Seine Aufmerksamkeit galt allein der Premin. »Ich habe mir ein privateres Treffen vorgestellt. Können wir uns in Eurem Arbeitszimmer unterhalten?«
Die Premin musterte ihn kühl. »Bestimmt könnt Ihr uns Euren Bericht auch hier geben.«
»Ich glaube, da habt Ihr etwas falsch verstanden«, erwiderte Rodian höflich. »Ich bin hier, um Informationen bezüglich der Opfer zu bekommen, nicht um Bericht zu erstatten.«
»Was könnten wir Euch sagen, das Ihr nicht schon wisst?«, fragte die Premin. »Die beiden Gildenbrüder wurden in einer Gasse überfallen, nicht hier. Solltet Ihr Eure Zeit nicht besser damit verbringen, nach den Mördern zu suchen?«
Rodian ließ sich davon nicht beeindrucken. In seinen wenigen Jahren als Hauptmann der Stadtwache war er oft auf solche Ablehnung gestoßen. Verwandte und Freunde – selbst die intelligenteren unter ihnen – verstanden manchmal nicht, dass es zwischen dem Privatleben der Opfer und dem Verbrechen einen Zusammenhang geben konnte.
»Euer Arbeitszimmer, Premin?«, wiederholte er.
»Wie wäre es mit meinem?«, warf Hochturm ein.
»Deins ist ebenso weit oben wie meins«, sagte
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