Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Ordnung«, sagte er mit einer knappen Geste.
Wynn starrte auf das seltsame lange Bündel, fragte aber nicht danach. Sie war so oft enttäuscht worden, dass sie kaum mehr zu hoffen wagte. Wortlos ging sie zum Tisch und rieb den Kristall. Es wurde heller im Zimmer, und sie beobachtete, wie il’Sänke den langen Gegenstand auf ihr Bett legte.
Er löste das Tuch von dem Objekt, und zum Vorschein kam ein polierter Stab aus Eichenholz. Das eine Ende steckte in einer Lederhülle, mit einer Schnur umwickelt.
»Die Herstellung eines solchen Gegenstands braucht Zeit«, sagte il’Sänke. »Und sie ist sehr aufwändig, nicht nur in Hinsicht auf die erforderlichen Mittel. Man muss immer wieder ausprobieren … Und ich habe mich sehr beeilt.«
Monde waren vergangen, seit Wynn mit ihrem Anliegen an den Domin herangetreten war. Aus ihrem Blickwinkel konnte von Eile kaum die Rede sein.
Sie begriff, was sich in der Lederhülle befand.
»Du bist fertig?«, hauchte sie. »Du bist endlich fertig geworden?«
»Vielleicht«, sagte il’Sänke und fügte diesem Wort ein kurzes Schnauben hinzu. »Die Zeit genügt nicht für weitere Tests.«
Wynn schluckte. »Ich wollte mich nicht beklagen, nur … «
»Komm her«, sagte il’Sänke.
Er griff nach dem gelbbraunen Stab und hob ihn. Als er ihn drehte, ließ er den Stab langsam durch seine Hand gleiten, bis das Ende den Boden berührte. Und dann zog er die Lederhülle vom Ende.
Schimmerndes Licht strahlte durchs Zimmer und tanzte über die Wände, ausgehend vom Sonnenkristall. Wynn war davon wie hypnotisiert und hörte die nächsten Worte des Domins kaum.
»Verurteile Hochturm nicht«, sagte er. »Er ist über Miriams Tod bestürzt, so wie ich über Dâgmunds.«
Wynns Blick glitt zu seinem Gesicht und sie sah dort kalten Zorn, halb verborgen hinter Kummer. Sie hatte nicht gewusst, dass eine Verbindung zwischen Dâgmund und il’Sänke bestanden hatte.
Nach wenigen Sekunden kehrte ihr Blick zum leuchtenden Kristall zurück.
»Zeit und Übung sind notwendig, um richtig damit umzugehen«, sagte er. »Sei vorsichtig mit diesem Objekt, denn vielleicht gibt es keinen Ersatz dafür. Bist du für eine erste Lektion bereit?«
Wynn zögerte, und Unbehagen regte sich in ihr, als il’Sänke auf sie herabsah.
In den dunkelbraunen Augen des Domins fehlte der sonst typische hintergründige Humor. Kühle Entschlossenheit lag in ihnen.
Wynn gab sich einen inneren Ruck, streckte die Hand aus und ergriff den polierten Eichenstab.
»Ja, ich bin bereit. Ich habe lange genug auf diesen Moment gewartet.«
9
Am nächsten Nachmittag hörte Rodian kaum zu, als Garrogh von Kasernen-Angelegenheiten berichtete.
»Und einige Männer klagen über die neue Köchin«, sagte Garrogh. »Lúcan glaubt, dass sie trinkt. Soll ich die Sache überprüfen oder sie gleich ersetzen?«
Rodian sah von seinem Schreibtisch auf. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihm, und den größten Teil des Tages hatte er damit verbracht, sich mit irgendwelchen Dingen abzulenken, während er darauf wartete, dass der königliche Arzt Miriams Todesursache feststellte.
Was den anderen toten Weisen in der Gasse betraf, einen Reisenden namens Dâgmund … Bei ihm war die Todesursache klar: Schädeltrauma. Ein großer Ziegelsteinbrocken hatte ihm den Kopf zertrümmert; sein Gesicht war praktisch unkenntlich.
Rodian hoffte, dass er von dem sumanischen Arzt nützliche Informationen bekam, zumindest mehr als von dem Heiler, der Jeremy und Elias untersucht hatte. Vor dem inneren Auge sah er noch einmal, wie die große schwarze Gestalt mit der Hand ein Loch in die Mauer schlug. Wer – oder was – hatte die jungen Weisen getötet? Und immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem einen Überlebenden zurück, zu Nikolas Columsarn.
Seine Aussage war mehr wert als alle Informationen, die ihm ein Dutzend sumanische Ärzte geben konnten. Aber noch wusste er nicht, ob sich Nikolas erholen und imstande sein würde, Fragen zu beantworten.
»Sollen wir für heute Schluss machen?«, fragte Garrogh und legte die Berichte auf den Tisch.
Rodian blickte hoch. Zwei Flecken am Wappenrock des Leutnants erinnerten an seine letzte Mahlzeit. Plötzlich hatte Rodian genug von seinem Stellvertreter, der Weisengilde und vor allem den Einmischungen der Herzogin.
Garrogh sah, wie sich das Gesicht des Hauptmanns verfinsterte, bezog dies aber nicht auf sich. »Angeblich weiß der sumanische Arzt mehr über Gift als sonst jemand.«
Rodian starrte ihn an. »Wer sagt
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