Dhampir
ihm eine Erinnerung an ihre Stimme hinz u … und an eine andere, die zu ihr gesprochen hatte.
Nein’a … Cuirin’nên’ a … Mutter …
Wynn eilte an einem Wohnbaum dicht an der Waldgrenze vorbei. Sie wusste noch immer nicht, warum sie keine Elfen sah und Chap verschwunden blieb. Als sie zurückkehren wollte, bevor sie entdeckt wurde, hörte sie plötzlich Schritte.
Rasch duckte sie sich hinter einen Baum und hoffte, dass der unbekannte nächtliche Wanderer seinen Weg fortsetzte. Vorsichtig spähte sie hinter dem Baumstamm hervor und hielt Ausschau.
Sie bekam keine Gelegenheit, irgendetwas zu erkennen. Das Bild vor ihren Augen verschwamm, und von einem Augenblick zum anderen wurde ihr speiübel.
Die Beine gaben unter ihr nach, und sie sank am Baumstamm nach unten. Mit einer Hand klammerte sie sich an den dicken Wurzelsträngen fest, mit der anderen hielt sie sich den Mund zu und versuchte, nicht zu würge n – das aus Bisselbeeren und geräuchertem Fisch bestehende Abendessen wollte ihren Magen wieder verlassen.
Das laute Summen eines Insekts und das knisternde Rascheln von Blättern im Wind füllten ihren Kopf.
Doch in der Dunkelheit um sie herum gab es keine Insekten, und es war völlig windstill.
Seit mehr als einem Mona t – seit sie an der Grenze der Kriegsländer gewesen wa r – hatte Wynn jene besonderen Geräusche nicht mehr gehört. Wenn man überhaupt von »hören« sprechen konnte, denn sie nahm sie nicht mit den Ohren wahr, sondern mit dem Bewusstsein.
Irgendwo dort draußen im Wald rief Chap die Feen.
Es hatte mit einem Ritual in Dröwinka begonnen, als Wynn versuchte, das alle Dinge durchdringende geistige Element zu sehen. Bei jener Gelegenheit war es ihr darum gegangen, einen Untoten für Magiere zu finden, und anschließend hatte sie den Strom der Magie durch ihr Selbst nicht mehr aufhalten können. Chap hatte sie von der mantischen Sicht befreien müssen. Doch an der Grenze von Soladran war sie auf unerwartete Weise zurückgekehrt. Wann immer Chap mit seinen Artgenossen kommunizierte, hörte Wynn jenes Summen und Knistern.
Wynn schluckte und gab sich alle Mühe, ruhig zu atmen. Sie bereitete sich innerlich auf die Antwort der Feen vor, auf dutzend- oder hundertfaches Summen und Knistern, das ihr heftige Kopfschmerzen bereiten würde.
Es blieb aus. Nur eine einzelne Stimme summte und knisterte in ihrem Bewusstsein, und aus dem Geräusch wurd e …
Nein’a … Cuirin’nên’ a … Mutter …
Es lief Wynn kalt über den Rücken.
Worte? Sie entsprachen dem elfischen Dialekt dieses Landes, aber dahinter hörte Wynn sie auch auf Belaskisch und sogar in ihrer numanischen Muttersprache. Eine Stimme artikulierte sie in vielen Sprachen gleichzeitig, und auch diesmal blieb eine Antwort aus.
Wem galt Chaps Ruf? Hatte er Leesils Mutter gefunden, so nahe bei dieser Siedlung? Er würde bestimmt nicht versuchen, mit ihr zu kommuniziere n – es hätte nicht funktioniert. Wynn war die einzige Person, die Chap jemals beim Kontakt mit den Seinen gehört hatte. Und Wynn hatte in diesen »Gesprächen« nie zuvor Worte vernommen.
Das Summen verschwand aus Wynns Gedanken und hinterließ einen dumpfen Schmerz.
Aber sie hatte die Worte bereits gehört.
Sie nahm sich nicht die Zeit, über eine weitere beunruhigende Veränderung in ihrer Gabe nachzudenken. Chap war dort draußen im Wald und suchte Nein’a, und Wynn wollte ihn nicht sich selbst überlassen. Selbst wenn er Nein’a fan d – wie konnte er sich ihr mitteilen?
Wynn zog sich am Baumstamm auf die Beine, blickte in die düstere Wildnis und spürte Verzweiflung in sich aufsteigen.
Wie sollte sie sich ohne Hilfe im Wald zurechtfinden? Er wollte sie nicht, lehnte ihr menschliches Wesen ab. Selbst als sie mit den anderen unterwegs gewesen war, hatte der Wald versucht, sie zu verwirren und ihr die Orientierung zu nehmen. Selbst Leesil hatte sich konzentrieren müssen, um nicht dem Einfluss des Waldes zu unterliegen, obwohl er ein halber Elf war.
Diesmal wünschte sich Wynn die Bürde der mantischen Sicht herbei. Aber so unangenehm sie auch sein mochte: Sie kam nicht, wenn man sie rief. Wynn erinnerte sich daran, einmal von ihr überwältigt worden zu sein, als sie mit Chap zusammen gewesen wa r – ihre Finger hatten sich ihm tief ins Fell gebohrt.
Wynn zwang die Furcht beiseite und beruhigte sich. Sie schloss die Augen und erinnerte sich an ihre Empfindungen, die sie bei jener Gelegenheit gehabt hatte, als sie mit Chap allein gewesen
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