Dhana - Im Reich der Götter
bereits Blättchen befand.
Vielleicht sind diese
rührenden Abschiedsszenen jetzt bald vorbei? Diamantflamme
schwebte mühelos neben dem Schiff. Sie hatten ihn nicht einmal kommen hören. Auch wir müssen uns auf den
Weg machen.
Dhana und Numair tauschten
einen letzten, raschen Kuss, bevor Dhana auf das Geländer und von dort auf den
Rücken des blauen Drachen kletterte. Sie begannen zu steigen. Dhana sah Numair
an und warf ihm einen Handkuss zu, wobei sie eine Stimme zu überhören
versuchte, die sagte, sie würde ihn möglicherweise nie wieder sehen.
Licht flimmerte um ihren Kopf:
ein Sprech-Zauber. Seine Stimme flüsterte ihr ins Ohr: »Die Göttin möge dich
beschützen, mein Liebling.«
Zwei Tage später standDhana
noch vor Sonnenaufgang auf dem Wachturm von Legannhafens Nordtor. Sie wusste,
was in dem Schatten unter ihr lag. Gestern, als die Armee der Königin vorrückte,
hatte sie, auf dem Rücken von Diamantflamme und dank dessen Magie unsichtbar,
die feindlichen Stellungen kartogra- fiert. Kopien ihrer Karten wurden von
Sternenflügel sowohl an die Verteidiger der Stadt als auch an Thayet
überbracht. Jetzt kannten die Herrscher von Tortall jede Position ihres
Gegners. Die Königin und ihre Streitkräfte warteten am Waldrand. Sie waren
bereit den Fluss zwischen sich und ihren Feinden zu durchqueren, um mit dem
grimmigen Tagewerk zu beginnen. Das Bild des Landes vor ihr war in Dhanas
Gehirn eingebrannt. Über Hunderte von Metern hinweg war das Land vor Legannhafens
Außenwall aufgewühlt, übersät mit aufgedunsenen Leichen, die in der Juni-Hitze
anfingen zu verwesen und zu stinken. Dazwischen lagen Waffen, zerschmetterte
Speere, Pfeile und Piken oder Steine von Legannhafens Katapulten. Breite,
versengte Schneisen zeigten an, wo die Kriegsmagier gekämpft hatten.
Weiter hinten, außerhalb der
Reichweite der Katapulte, hatten Ozornes Verbündete ihre Verteidigungslinien
errichtet. Die erste bestand aus einer Reihe von x-förmig zusammengebundenen
Pfählen, deren Enden zugespitzt waren, um jedes Pferd aufzuschlitzen, das
versuchen sollte das Hindernis zu überspringen. Als Nächstes kamen mehrere
Gräben, damit diejenigen, die den Pfahlzaun doch überwunden hatten, sich die
Beine brachen. Außerdem boten die Gräben den eigenen Soldaten Schutz vor
feindlichen Pfeilen. Den Abschlussbildete ein niederer, abgerundeter Erdwall.
Dahinter lag das Hauptlager des Feindes in einem tiefen Tal neben einem Fluss.
All das hatte Dhana genau
aufgezeichnet. Als der Tag anbrach, sah sie die schattenhaften Gestalten von
Wachposten auf dem Kamm des niederen Erdwalls, genauso wie sie die hohen Holztürme
sehen konnte, die der Feind als Ausguck benutzte. Fröstelnd zog das Mädchen die
Decke, die im Augenblick ihre einzige Bedeckung war, fester um sich. Neben ihr
stand König Jonathan, das Reichs-Juwel in der einen Hand, in der anderen einen
mit dem Sprech- und Bild-Zauber belegten Spiegel. Durch den Spiegel konnte er
mit seiner Frau Verbindung aufnehmen. Seine Generäle hatten ebenfalls solche
Spiegel, denn damit konnten sie ihm Nachrichten schneller zukommen lassen als
mittels Boten.
»Wollt Ihr nicht lieber
hineingehen?«, fragte Onua, eine der ältesten Vertrauten der Königlichen
Familie, den König besorgt. »Es ist gefährlich für Euch hier im Freien. Sollte
Euch nur ein einziger Sturmflügel zufällig erwischen, bleibt es an mir hängen,
Thayet zu berichten, warum ich Euch hier draußen bleiben ließ.« »Ich misstraue
jedem Ratschlag, der die Worte >sollen< und >müssen< enthält«,
antwortete König Jonathan gelassen. »Und ich kann das Reichs-Juwel nicht von
drinnen handhaben, Onua. Ich muss sehen, wo ich es anwende.«
Dhana beugte sich vor und
deutete Onua durch Mundbewegungen an: »Ich hab's ja gesagt.« Die K'mir
lächelte verdrießlich. Sie hatte im Grunde gar nicht erwartet, dass Jonathan
ihren Rat annehmen würde.
Kätzchen zirpte zu Dhana hin.
Dhana verrenkte sich unbeholfen, um ihre Decke nicht zu verlieren und
gleichzeitig das Drachenkind in eine rechteckige Scharte in der Mauer zu
heben. Der Himmel über den Hügeln im Osten hatte sich rosa verfärbt. Auch auf
dem Wachturm veränderte sich das Licht, sobald Diamantflamme sich bewegte. Die
Turmwachen konnten den Drachen nicht sehen, aber sie spürten ihn und pressten
sich auf ihren Rundgängen an die Wand.
Als Dhana das Klirren von
Waffen hörte, sah sie sich um. Lord Imrah, Herrscher über Legannhafen, hatte
das Dach des Turmes erreicht. Er konnte
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