Diablo III: Sturm des Lichts (German Edition)
Gefäß beim letzten Mal in ihm entfacht hatte: das Grauen, die Hoffnungslosigkeit, die Trauer.
Es war Sterblichen nie bestimmt gewesen, in den Kelch zu schauen. Welche Folgen hatte es für ihn? Was geschah mit seinem Fleisch, seinen Knochen? Doch das Verlangen war zu mächtig, als dass er es zurückdrängen konnte.
Die Straßen vor dem Gasthaus waren geschäftig, die Geräusche der Stadt allgegenwärtig. Also zog Tyrael sich zurück in einen Bezirk, den er noch nicht besucht hatte. Hier fand er schließlich einen stillen Ort zwischen einem ausgetrockneten, rissigen Brunnen und einem zerfallenen dunklen Haus. Ein Bettler kauerte dort, in Fetzen gehüllt, doch als der Erzengel sich ihm näherte, sprang er rasch auf und taumelte davon; allein der Geruch nach Met blieb zurück.
Eine Woge der Erleichterung spülte hinweg über Tyraels schmerzende Knochen, kaum dass er Chalad’ar hervorgeholt hatte und sich über ihn beugte. Sein Geist löste sich von seiner körperlichen Gestalt, und sein Leib sackte zusammen auf dem geborstenen Pflaster, während er durch die singenden Fäden aus Licht und Gefühl schwebte. Beinahe sofort spürte er wieder jene Präsenz, die ihn beobachtete, doch nun fühlte sie sich auf fast beruhigende Weise vertraut an. Du gehörst hierher . Dennoch hörte er noch immer das Echo einer anderen Stimme – einer Stimme tief aus seinem Inneren, die ihn gemahnte, dass er sich in mächtige, vielleicht tödliche Gefahr begab …
Wie zur Antwort auf die Warnung begannen die Fäden, mit denen er verbunden war, sich zu wandeln: Sie schlangen sich um ihn, hüllten ihn ein wie ein erdrückender Vorhang. Aus allen Richtungen brandete jetzt Geflüster auf ihn ein, erfüllt von Angst und Zorn und Zweifeln … Zugleich war da ein Gefühl von Dunkelheit, von Verderbnis, das von Sekunde zu Sekunde wuchs. Die Erzengel standen gegen ihn; Imperius hatte einen Sicarai entsandt, um ihn und die Gefährten zu vernichten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er es erneut versuchte. Der Rat hatte ihn viel zu schnell, viel zu mühelos gefunden. Konnte es sein, dass es einen Verräter gab in ihrer Mitte? Und falls ja: War damit jede Chance vertan, den kühnen Plan zu erfüllen, den er ersonnen hatte?
Der Mönch hatte ihn aufmerksam beobachtet, ihm in den Wäldern hinterherspioniert, und stets schien er in Tyraels Nähe zu sein. War es vielleicht Mikulov? Hatte er die Phantome zu ihnen geführt? Oder war es Jacob, der von einer der Kreaturen berührt worden war und der noch immer ihr Mal auf der Schulter trug? Konnte es womöglich sogar der Totenbeschwörer sein, der so viel über Gleichgewicht von Licht und Dunkelheit wusste und der selbst wie ein Phantom in den Schatten hinter ihm lauerte, wann immer Tyrael sich nach ihm umblickte?
Doch all das war im Grunde nicht von Bedeutung. Was zählte, war allein, dass er den Stein nach Sanktuario brachte. Er hatte schon zu viel Zeit verschwendet. Unzählige Leben würden enden, bevor der Krieg gewonnen wäre, doch zählte es wirklich, wie mächtig das Opfer war, wenn dadurch das Gute über das Böse triumphierte? Das Gift des Seelensteins griff in den Hohen Himmeln immer weiter um sich, und Tyrael war entschlossen, alles zu tun, damit seine Mission ein Erfolg wurde. Alles.
Als der Erzengel wieder zu sich kam, saß er verkrümmt gelehnt gegen den ausgetrockneten Brunnen. Schatten tanzten über den verlassenen Platz, während Wolken vor dem schwangeren Mond dahinzogen. Seine Lippen waren spröde, seine Kehle trocken, und seine Glieder zitterten vor Erschöpfung. Er stemmte sich in die Höhe.
Chalad’ar stand ein paar Schritte von ihm entfernt, und kurz stieg Panik in Tyrael empor, als er daran dachte, wie leicht es gewesen wäre, das Gefäß zu stehlen, während er neben ihm geschlafen hatte. Der Kelch gehörte ihm. Er war der Einzige, der in seine Tiefen schauen und unbeschadet daraus zurückkehren konnte. Die Einblicke, die Chalad’ar bot, waren nur für ihn bestimmt.
Er hob den Kelch auf, und als er ihn unter seiner Robe verstaut hatte, erfüllte ihn einmal mehr Erleichterung. Dennoch blickte er sich gründlich um, suchte die Schatten ab nach einem verborgenen Beobachter. Doch er sah nirgendwo eine Bewegung, und so machte er sich schließlich mit langsamen Schritten auf den Rückweg zum Schnappenden Hund . In seinem Inneren aber wogte noch immer die wirbelnde, gierige Schwärze von Chalad’ar. Sie gehörte ihm. Ihm allein.
3. TEIL
Der Aufstieg
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