Diablo III: Sturm des Lichts (German Edition)
schlaff, wie die Finger einer Leiche. Vor seinen Augen sah er Männer, die an Stricken von den Mauern in Staalbreak hingen, und er hörte das Lachen seines Vaters, das durch die leeren Straßen der Stadt hallte. Dann kamen Barbarenhorden mit feuerfarbenen Runen und Mordlust in ihren Augen. Welle um Welle warfen sie sich gegen die Stadtmauer, und als der Stein unter ihrem Ansturm barst, verwandelten sie sich in Dämonen. Niemand konnte sie aufhalten oder dem Wahnsinn und Blutvergießen ein Ende machen. Die Menschen von Staalbreak wurden abgeschlachtet, einer nach dem anderen.
Plötzlich war Jacob wieder in den Gärten. Doch jetzt hingen überall dünne graue Spinnweben – sie hingen von den Lichtbäumen, sie schwebten durch die Luft, und sie legten sich über die Beete wie eine alles erstickende Decke. In den Netzen regten sich fette, haarige Spinnen, deren Augen und speichelnassen Fänge das Glühen der Brunnen reflektierten. Er blickte über die Schulter, doch dort war nur ein Lichtbecken, das das Unglücksbild seines eigenen Verstandes auf ihn zurückwarf. Seine schimmernde Oberfläche offenbarte ihm die nackte Wahrheit: Er sah Shanars verstümmelten Leib, daneben seinen eigenen, und er begriff, dass es keine Hoffnung auf Erlösung gab, keine Zukunft, kein Zurück von diesem Ort. Er war verloren im Wald der Spinnweben. Und sie raubten ihm die Luft zum Atmen.
Jacob schrie.
Sein Schrei zerschmetterte die heitere Schönheit der Gärten wie eine Axt, die auf einen Spiegel saust. Die Horadrim erstarrten, und die Engel, die bislang friedlich umhergewandert waren oder in Gedanken vertieft auf den Bänken gesessen hatten, wandten sich abrupt zu ihnen um. Die Bewohner der Himmel konnten nicht körperlich krank werden, doch sie konnten sich verletzen oder Unruhe empfinden, und dann zogen sie sich zurück in die Gärten, um sich zu heilen und inneren Frieden wiederzufinden. Es war zu sehen, dass die unerwartete Störung sie aufgerüttelt hatte.
Tyrael fluchte lautlos. Sie hatten die Gärten bereits zur Hälfte passiert, doch dann war Jacob plötzlich vor einem herabhängenden Lichtzweig weggezuckt, als hätte etwas ihn gebissen. Der Erzengel hatte gewusst, dass so etwas geschehen konnte, vor allem hier, wo die Versprechungen der Hoffnung sich rasch in Verzweiflung wandelten, wenn man nicht darauf vorbereitet war, in sein Innerstes zu schauen.
Doch da war noch etwas anderes. Tyrael blickte sich genauer um und sah jetzt dünne, graue Ranken, die durch den Stamm in die Äste des Baumes gewachsen waren, unter dem Jacob stand. Sie waren so dünn, dass man sie kaum sah, Haarrisse im makellosen Licht der Gärten. Doch sie brachten Finsternis an diesen Ort, zerfraßen den Frieden mit einer schrecklichen Krankheit …
Der Stein war nahe.
Das Ausmaß der Verderbnis ließ sein Herz gefrieren. Die Hohen Himmel waren geschändet, und er vermochte nicht zu sagen, wie lange es dauern würde, die Reinheit dieses Ortes wiederherzustellen, wenn sie den Seelenstein erst fortgebracht hatten.
Doch im Moment gab es dringlichere Probleme. Shanars Illusion begann nachzulassen wie ein Schattenbild, das in der Ferne verblasst, und die sterblichen Formen der Horadrim um ihn wurden allmählich sichtbar.
Zudem kamen nun mehrere Engel über die Gartenpfade auf die Gefährten zu; zwar waren sie keine Soldaten, doch auch sie konnten Alarm geben. Sollten sie es mit den Luminarei zu tun bekommen, noch ehe Tyrael den Ratssaal erreicht hatte, dann war alle Hoffnung verloren.
„ Du ?“
Ein weiblicher Engel war ein Stück weit entfernt stehen geblieben. Ihre Aura pulsierte vor Besorgnis, während ihre Schwingen sich aufgeregt hoben und senkten.
„Du wurdest doch beschuldigt, ein Verräter zu sein! Imperius befahl, dass jeder, der dich sieht, es sofort den Wachen melden soll!“
„Was immer du gehört hast: Du irrst dich. Ich war auf geheimer Mission in Sanktuario. Mehr brauchst du nicht zu wissen.“
„Ich …“ Der Blick des Engels wanderte zu den anderen, und er schien zusammenzuzucken. „Ihr Lied … das sind keine Luminarei!“
Jacob, der noch immer wie in Trance war, taumelte zurück, wobei er gegen den Rand eines Beckens stieß. Einen Moment lang rang er um Gleichgewicht, dann kippte er nach hinten in das flüssige Licht.
Die Reflexion auf der Oberfläche zerbarst in zahllose Farbsplitter. Das Becken war nicht tief, doch das Licht hüllte ihn ein, und wild und laut schreiend trat er um sich, hieb nach etwas, was Tyrael nicht sehen
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