Diabolus
fegte durch einen kleinen Park und hinein in den kopfsteingepflasterten Schlauch der Calle Mateus Gago - eine enge Einbahnstraße, die zum Torbogen des Stadtviertels Santa Cruz hinaufführte. Nur noch ein kleines Stück, dachte er. Das Taxi blieb an ihm dran und kam sogar näher. An dem engen Torbogen am Eingang von Santa Cruz fuhr es sich die beiden Rückspiegel ab, aber Becker wusste, dass er gewonnen hatte. Santa Cruz war das älteste Viertel von Sevilla. Hier gab es keine Fahrstraßen, nur das alte Gassengewirr aus römischer Zeit - für Autos viel zu schmal. In dieser engen Höhlenwelt, wo nur Fußgänger und gelegentlich einmal ein knatterndes Moped verkehrten, hatte sich Becker vormals hoffnungslos verlaufen. Als er das letzte Stück der Calle Mateus Gago hinaufraste, wuchs vor ihm wie ein Berg die aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammende spätgotische Kathedrale von Sevilla empor. Direkt daneben stieß der Giralda-Turm dreiundneunzig Meter in den Morgenhimmel. Das war das Viertel Santa Cruz, Standort der zweitgrößten Kathedrale der Welt und zugleich Heimat der ältesten und frömmsten katholischen Familien von Sevilla. Becker sauste über den Platz. Ein Schuss bellte, aber zu spät. Becker und sein Roller waren schon in einem winzigen Durchgang verschwunden, der Calle de la Virgen.
KAPITEL 88
Im Scheinwerferlicht von Beckers Vespa wischten harte Schlagschatten über die Mauern der engen Gassen. In stetem Kampf mit der Gangschaltung knatterte Becker zwischen den weiß getünchten Häusern dahin und verhalf den Bewohnern von Santa Cruz an diesem Sonntagmorgen zu einem besonders frühen Weckruf. Seit seiner Flucht vom Flughafen waren noch nicht einmal dreißig Minuten vergangen, in denen er pausenlos in Bewegung gewesen war. In seinem Kopf schwirrten die Fragen. Wer will dich umbringen? Was ist an diesem Ring so Besonderes? Wo ist der NSA-Jet hingekommen? Die ermordete Megan in der Toilettenzelle kam ihm in den Sinn. Der Gedanke bereitete ihm Übelkeit. Becker hatte einfach quer durch das Altstadtviertel brausen wollen, bis er auf der anderen Seite wieder herauskam, aber Santa Cruz war ein Gassenlabyrinth voller Scheindurchgänge und Sackgassen. Es dauerte nicht lang, und er wusste nicht mehr, wo er war. Er verdrehte den Hals, um sich am Turm der Giralda zu orientieren, aber die hohen Mauern standen so eng, dass er oben nur durch einen schmalen Spalt die aufziehende Morgendämmerung erkennen konnte. Mühsam manövrierte Becker die Vespa um die engen Kurven. Das Geknatter des Zweitakters hallte durch die engen Gassen. Becker gab sich nicht der Illusion hin, sein Verfolger hätte aufgegeben, aber wo war der Mann mit der Nickelbrille abgeblieben? Er musste inzwischen zu Fuß hinter ihm her sein. In der Stille von Santa Cruz war Becker leicht zu lokalisieren. Sein einziger Vorteil war die Geschwindigkeit. Du musst dich zur anderen Seite durchschlagen! Nach vielerlei Kehren und kurzen Geraden schleuderte Becker auf ein Plätzchen hinaus, von dem drei Gassen abgingen. Es hieß Esquina de los Reyes. Becker saß in der Tinte - hier war er schon einmal gewesen. Den im Leerlauf stotternden Roller zwischen den Beinen, stand er da und versuchte, sich über die einzuschlagende Richtung schlüssig zu werden. Plötzlich spuckte der Motor und starb ab. Der Benzinanzeiger stand auf VACIO Prompt erschien am Ende der nach links führenden Gasse ein Schatten. Das menschliche Gehirn ist der schnellste Computer, den es gibt. Im Bruchteil einer Sekunde registrierte Beckers Gehirn die Gestalt des Mannes, verglich sie mit dem in der Erinnerung gespeicherten Bild, meldete Gefahr und forderte eine Entscheidung. Sie kam postwendend. Becker ließ den Roller fallen und rannte Hals über Kopf davon. Zu Beckers Pech befand sich Hulohot jetzt auf festem Boden und nicht in einem schleudernden Taxi. Der Mörder hob seelenruhig die Waffe und schoss. Becker flitzte um die Ecke in Deckung. Die Kugel erwischte ihn gerade noch an der Seite. Erst fünf oder sechs Sätze weiter spürte er, dass er oberhalb der Hüfte an der Seite getroffen worden war.
Anfangs war es ein Gefühl wie eine Muskelzerrung, das schnell in ein warmes Vibrieren umschlug. Becker sah das Blut und wusste Bescheid. Er fühlte keinen Schmerz, er kannte nur eines - weiterrennen durch das verwinkelte Gassengewirr von Santa Cruz. Hulohot hatte sich an sein Opfer gehängt. Er war kurzzeitig versucht gewesen, Becker in den Kopf zu schießen, aber als Profi ließ er sich
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