Diabolus
geräuschlos hinaus. Draußen auf der Straße griff er nach einem winzigen Gerät an seinem Gürtel, ein rechteckiges flaches Kästchen vom Format einer Scheckkarte. Es war der Prototyp der neuen Monocle Computergeneration. Das ursprünglich von der US Navy für elektrische Messzwecke in den beengten Raumverhältnissen von U-Booten entwickelte Gerät hatte sich zum Miniaturcomputer gemausert und enthielt neben den neuesten Schikanen der Mikrotechnologie auch ein Mobilfunk-Modem. Als Monitor diente ein in das linke Glas einer Brille integrierter Flüssigkristall-Bildschirm. Der Monocle stellte eine völlig neue Generation der PC-Technik dar, die es dem Anwender erlaubte, Daten und Umgebung simultan zu beobachten. Der eigentliche Clou des Monocle war jedoch nicht sein Miniatur-Display, sondern das Daten-Eingabesystem. Der Benutzer gab die Befehle mittels winziger elektrischer Kontakte an den Fingerspitzen, die er nach bestimmten Abfolgen betätigte. Das Ergebnis war eine Art Kurzschrift wie bei den Schreibmaschinen der amerikanischen Gerichtsstenographen. Der Computer lieferte die Rückübersetzung der Kürzel in Langschrift. Der Attentäter drückte einen Mikroschalter. In seiner Brille leuchtete der Bildschirm auf. Er ließ die Arme unverdächtig seitlich am Körper hängen. Seine Fingerspitzen begannen in schneller Folge gegeneinander zu trommeln. Vor seinem linken Auge leuchtete eine Meldung auf:
ZIELPERSON: P. CLOUCHARDE - ELIMINIERT
Er lächelte. Die Vollzugsmeldung der Mordaufträge war Bestandteil seines Vertrags. Aber die Meldung mit dem Namen des Opfers zu verbinden, dachte der Mann mit der Nickelbrille - das war Eleganz. Ein weiteres Trommeln seiner Fingerspitzen aktivierte das Mobilfunk-Modem:
BOTSCHAFT ABGESCHICKT
KAPITEL 26
Becker saß ratlos auf der Bank gegenüber der Klinik. Wie sollte es jetzt weitergehen? Seine Anrufe bei den Begleitagenturen hatten zu keinem Ergebnis geführt. Den Commander konnte er nicht anrufen. Strathmore hatte ihn wegen der Abhörgefährdung öffentlicher Telefone gebeten, sich erst wieder zu melden, wenn er den Ring hatte. Becker überlegte, ob er zur hiesigen Polizei gehen und sich nach einer rothaarigen Nutte erkundigen sollte, aber dem standen Strathmores strikte Anweisungen entgegen. Bleiben Sie im Verborgenen! Niemand darf wissen, dass es diesen Ring gibt! Becker fragte sich, ob er das Vergnügungsviertel Triana nach der geheimnisvollen Frau abklappern oder sich lieber quer durch die Lokale auf die Suche nach dem deutschen Touristen machen sollte. Alles nur Zeitvergeudung. . . Strathmores Worte ließen ihn nicht los. Es ist eine Frage der nationalen Sicherheit. Sie müssen diesen Ringfinden! Eine leise Stimme im Hinterkopf sagte ihm, dass er etwas übersehen hatte - etwas Wichtiges -, aber selbst um den Preis seines Lebens hätte er nicht sagen können, was es war. Du bist ein Pauker und kein Geheimagent, verdammt noch mal! Er fragte sich allmählich, warum Strathmore nicht einen Profi losgeschickt hatte. Becker stand auf und spazierte ziellos die Calle Delicias hinunter. Welche Möglichkeiten gab es noch? Das Pflaster des Trottoirs verschwamm vor seinen Augen. Die Dunkelheit brach mit Macht herein. Dewdrop. Irgendetwas an diesem blödsinnigen Namen ließ ihn nicht los. Dewdrop. Die ölige Stimme des Señor Roldán von Escortes Belén lief als Dauerschleife in seinem Kopf. Wir beschäftigen nur zwei rothaarige Damen . . . Immaculata und Rocío. . . Rocío. . . Rocío. . .« Becker schlug sich mit der Hand an die Stirn. Plötzlich hatte er begriffen. Wie konnte ihm das nur entgangen sein? Rocío war einer der populärsten Mädchennamen Spaniens. In diesem Namen schwang alles mit, was sich für ein junges katholisches Mädchen ziemte - Reinheit, Jungfräulichkeit, Schönheit. Der Sinngehalt leitete sich aus der wörtlichen Bedeutung des Namens her - Tautropfen!. Becker hörte die Stimme des alten Kanadiers in seinem Kopf widerhallen. Dewdrop. Rocío hatte ihren Namen in die einzige Sprache übersetzt, in der sie sich mit ihrem Kunden verständigen konnte - ins Englische! Aufgeregt machte Becker sich auf die Suche nach einer Telefonzelle. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite folgte ihm knapp außer Sichtweite ein Mann. Er trug eine Nickelbrille.
KAPITEL 27
In der Crypto-Kuppel wurden die Schatten erst länger und dann schwächer. Die automatisch geregelte Beleuchtung fuhr langsam hoch. Susan saß immer noch an ihrem Terminal und wartete schweigend
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