Diagnose zur Daemmerung
können, dass sie wieder zusammen in einem Raum waren.
Ti hatte gemeint, er hätte an einem dunklen Ort ohne Licht gearbeitet. Vielleicht hatten sie noch einen dritten Schlupfwinkel? Aber wo?
Die alte Frau stand direkt vor mir und sah mich mit brennendem Blick an, als wollte sie mich dazu bringen, etwas zu begreifen, was sich mir völlig entzog. Ich schüttelte ebenso den Kopf wie dieser Hausmeister, der mich gemustert hatte, während sie im Rinnstein spielte, wo er das ganze Wasser hinschob, das einfach nicht ablaufen wollte …
Weil der Abfluss verstopft war.
Der Abfluss, in dem Großmutter vorhin gespielt und wo sie offenbar Knochen gefunden hatte.
Und der große Ähnlichkeit aufwies mit dem Kanal, in dem ich sie beim ersten Mal entdeckt hatte. An einem finsteren Ort, der fast wie die Hölle war.
»Olympio.« Ich brauchte einen Moment, um in die Gegenwart zurückzukehren. »Du musst mir erklären, wie ich zu diesem Graben in Tecato Town komme.«
»O nein!« Der Junge schüttelte wild den Kopf.
»Ich muss aber unbedingt dorthin.«
Voller Freude klatschte die Alte in die Hände, wie ein psychotisches Jahrmarktsäffchen.
»Wenn du da runtergehst, komme ich mit«, beschloss Olympio.
»Auf keinen Fall.«
»Du hast doch keine Ahnung, wo du hinmusst. Der Kanal könnte überflutet werden …«
»Ein Grund mehr, warum du nicht mitkommen kannst.«
»Ich muss aber!«
Flehend sah ich zu seinem Großvater, damit der seinen Enkel zur Vernunft brachte.
»Se siente la llamada. El debe responder a ella«, verkündete der curandero .
»Siehst du? Mein Großvater gibt mir recht. Er sagt, es sei meine Bestimmung, mit dir zu gehen.« Als der alte Mann noch etwas hinzufügte, verzog Olympio angewidert das Gesicht. »Igitt. Wirklich?«
Der curandero nickte, woraufhin sich Olympio wieder an mich wandte: »Er sagt, du musst uns beide mitnehmen.«
Das verwirrte mich. Wie sollten wir einen alten Mann auf Krücken auf den Grund dieses steilen Zementgrabens befördern? Von den Tunneln ganz zu schweigen.
Offenbar hatte Olympio meine Gedanken erraten. »Nicht ihn, sie!« Mit einer Grimasse zeigte er auf Großmutter.
Das war fast noch schlimmer. Aufgebracht blickte ich zwischen den beiden hin und her und wartete darauf, dass einer von beiden Vernunft beweisen würde, denn den Job würde ich diesmal nicht übernehmen.
»Es ist der einzige Weg. Mir ist vorherbestimmt, dass ich mitgehe. Und bei ihr ist es dasselbe«, erklärte Olympio wieder.
»Sind Sie da ganz sicher?«, fragte ich seinen Großvater, der prompt nickte. Ich seufzte schwer. »Tja, gegen Prophezeiungen ist wohl kein Kraut gewachsen.«
Kapitel 41
Dummerweise war mein Auto nicht gestohlen worden, während ich beim curandero war. Dann hätte ich wenigstens die Oma im Krankenhaushemd zurücklassen müssen. Was Olympio anging, nun ja – der Gedanke an ein vom Schicksal vorherbestimmtes Abenteuer sorgte dafür, dass er an mir hing wie eine Klette. Bevor wir aufgebrochen waren, hatte er sich bei einem Nachbarn noch eine Taschenlampe ausgeliehen. Nun saß er auf dem Beifahrersitz, spielte am Radio herum und wies mich hin und wieder an, wo ich abzubiegen hatte. Als ihm klar wurde, dass ich keine spanischen Sender einprogrammiert hatte, drehte er langsam an dem Rädchen für den Sendersuchlauf. Die Hin-und Herspringerei zwischen den Frequenzen erinnerte mich etwas an einen Safeknacker und war auch mindestens so nervenaufreibend, aber wenigstens konnte er sich so ablenken. Und solange ich ihm dabei zuhörte, dachte ich nicht darüber nach, wie hirnverbrannt diese Aktion war. Die beiden mitzunehmen – Schicksal hin oder her – war ungefähr so, als wollte man mit einem Zirkuswagen in den Krieg ziehen.
»Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Auto hast!«, echauffierte sich Olympio zum x-ten Mal.
»Warum regst du dich so auf? Hättest du gern einen Ausflug mit mir gemacht?«
»Ich kann nirgendwohin, bis mich der Ruf erreicht.« Der Junge fand einen Sender, der ihm gefiel, und lehnte sich endlich zurück. »Mein ganzes Leben warte ich schon darauf, berufen zu werden. Und jetzt … Wer weiß? Ich werde sehen, wo der Ruf mich hinführt.«
»Aber sagtest du nicht, dass du schon immer diese Dinge siehst?«
»Sicher. Wie Catrina auch. Aber man kann nie wissen, ob man tatsächlich berufen wird.« Rhythmisch bewegte er den Kopf zur Musik.
»Und das erkennt man dann nicht von allein?« Eine böse Stimme in mir fragte sich plötzlich, ob Olympios Großvater vielleicht
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