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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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die alte Frau, »wir müssen Sie wenigstens vorübergehend in Sicherheit bringen. In der kommenden Nacht sollte da draußen niemand unterwegs sein. Es werden schlimme Dinge passieren.« In ihrem Gesicht spiegelte sich nichts außer Frustration, die wahrscheinlich gegen mich gerichtet war. »Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte es Ihnen erklären.« Im Kopf ging ich die wenigen Brocken Spanisch durch, die ich beherrschte, und sagte dann tapfer: » Noche muy malo, mucho dolor. Bleiben Sie im Haus!«
    Mit einer heftigen Bewegung beugte sie sich vor, schnappte sich einen der Kieselsteine, die nicht in den Fußraum gefallen waren, und drückte ihn mir in die Hand.
    Wenigstens war er inzwischen trocken. Und auf den zweiten Blick sah er auch nicht aus wie ein Kiesel.
    »Das ist kein Stein …« Ich hielt den schmalen Gegenstand gegen das Licht. »Das ist ein Fingerknochen.«
    Er sah überhaupt nicht so aus wie die Tätowierung, die Catrina und Adriana trugen, sondern war lang, dünn und leicht gekrümmt. Durch den Schlamm hatte er eine gräuliche Färbung angenommen, doch es bestand kein Zweifel daran, was ich hier in der Hand hielt.
    Schnell las ich einen der anderen Steine vom Boden auf. Das war tatsächlich ein Kiesel, genau wie der Rest ihres Fundes. Nur dieser hier nicht.
    »Okay. Wir gehen jetzt hoch in die Wohnung des Jungen, der kann für uns übersetzen.«
    Ich würde schon dafür sorgen, dass Olympio aus ihr rauskitzelte, wo sie den Knochen herhatte.
    Es war eine langwierige und mühevolle Angelegenheit, die Alte bis vor die Tür des curandero zu scheuchen. Nachdem ich dreimal geklopft hatte, spähte Olympio durch einen Spalt in der Tür. »Wusste ich doch, dass du das warst da draußen!«, rief er. »Du hast nie erzählt, dass du ein Auto hast!«
    »Du hast ja nicht gefragt«, gab ich zurück und trat beiseite, damit er sehen konnte, wen ich mitgebracht hatte.
    »Igitt, die schon wieder?«
    »Ja, tut mir leid. Kann sie bei euch bleiben?«
    Olympio stieß einen gereizten Seufzer aus. »Das kommt dann mit auf die Liste dessen, was du meinem Großvater schuldest. Vergiss nicht, die Rechnung für letzte Nacht ist auch noch offen.«
    »Ich werde ihm einen Scheck ausstellen, versprochen. Es ist das letzte Mal, ehrlich.«
    »Also schön.« Er zog die Tür weiter auf, damit wir eintreten konnten.
    Während er verschwand, um der Alten ein Handtuch zu besorgen, standen wir in dem Zimmer, das ich von letzter Nacht bereits kannte, nur diesmal ohne Alufolienkreuz und Schlangen. Der curandero hockte in der Ecke auf seinem Stuhl, umgeben von Kerzen und Statuetten. Als Olympio zurückkam, warf er mir einen prüfenden Blick zu. »Alles klar mit dir?«
    »Sicher. Du musst nur für mich übersetzen, und dann behaltet ihr sie über Nacht hier, damit sie in Sicherheit ist.«
    »Das wird ein fetter Scheck«, warnte mich der Junge.
    »Ist schon klar«, versicherte ich ihm. Dann konzentrierte ich mich auf die Alte und holte den Fingerknochen aus der Hosentasche. »Wo hast du das gefunden, Großmutter?« Auffordernd sah ich Olympio an. »Es ist sehr wichtig. Sorg dafür, dass sie es mir verrät.«
    Olympio übersetzte meine Frage, obwohl ich irgendwie das Gefühl hatte, dass die Alte mich auch so verstanden hatte.
    »Mictlan.«
    Olympio wartete ab, ob noch mehr kam. Als sie schwieg, stellte er die Frage noch einmal.
    »Mictlan«, antwortete sie wieder und nickte entschlossen.
    Der Junge zuckte mit den Schultern. »Das ist kein Wort. Keine Ahnung, was es bedeuten soll.« Da meldete sich der curandero aus seiner Ecke, woraufhin Olympio irritiert die Stirn runzelte. »Mein Großvater sagt, das sei ein anderes Wort für Hölle.«
    Mein Blick wanderte zwischen Opa und Enkel hin und her. »Derjenige, aus dessen Finger das stammt, wird euch da sicher recht geben.« Erschöpft lehnte ich mich gegen die Wand, genau wie in der Nacht, als ich hatte zusehen dürfen, wie der curandero Ti geheilt hatte. Irgendwie hing das alles zusammen, ich musste nur noch den gemeinsamen Nenner finden. Unbewusst schloss ich die Finger um den kleinen Knochen, während ich angestrengt nachdachte.
    Der Raum, in dem ich die gefangene Adriana entdeckt hatte, war voller Knochen gewesen – doch in der folgenden Nacht, als Luz dort gewesen war, hatte man ihn komplett ausgeräumt. Und die neue Kirche der Drei Kreuze, die wir so erfolglos angegriffen hatten, war ebenfalls leer gewesen.
    Adriana und all diese Knochen mussten irgendwo sein. Und ich hätte wetten

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