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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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Zugfahrt ganz anders. Der Waggon schaukelte auf den Gleisen, die blasse Morgensonne schien durch die Fenster herein und schuf eine Stimmung wie zu Beginn eines alten Filmklassikers. Um Viertel vor acht erreichte ich meine Haltestelle und ging in Richtung Treppe.
    »Das ist mein Telefon, nimm deine verdammte Decke weg!« Heute bemerkte ich auch die Reihe von Münztelefonen, die schon lange keine Hörer mehr hatten und in denen sicher kein vergessenes Wechselgeld zu finden wäre. Inzwischen stützten sie eine behelfsmäßige Hütte aus Pappkartons, in der sich zwei Obdachlose über ihre Deckenplätze stritten.
    Es waren mehr Leute unterwegs, an den Zügen herrschte reger Betrieb. Zum Glück war es heute windig, sodass die Luft endlich nicht mehr so drückend war. Die leichte Brise schob den Abfall über die Straße und trieb ihn zwischen die Beine der Wartenden; fast sah es so aus, als würde auch der Müll sich anstellen, um die nächste Bahn zu nehmen.
    Ich ließ die Menge hinter mir und marschierte zum Divisadero. Dabei kam ich an einem braunen Haufen vorbei, der für mein geübtes Auge zu groß zu sein schien, um von einem Hund zu stammen. In Zukunft würde ich genau aufpassen müssen, wo ich hintrat.
    Als ich mich noch einmal umsah, fragte ich mich, ob der Mann, bei dessen Behandlung ich gestern geholfen hatte, irgendwo in der Menge unterwegs war. Oder auch die Männer, die hinter ihm her gewesen waren. Auf den ersten Blick kam mir niemand bekannt vor, trotzdem ging ich bei diesem Gedanken etwas schneller.
    Als ich die Klinik erreichte, bemerkte ich, dass der Blutfleck noch immer auf der Schwelle klebte. Es war allerdings auch besonders schwer, Blut aus Beton rauszubekommen. Während ich noch darüber nachgrübelte, hörte ich ein leises Stöhnen hinter mir.
    Ich zuckte erschrocken zusammen und wirbelte herum. Es klang nicht richtig menschlich, eher wie Wind, der über einen Flaschenhals streicht. Da war es wieder. Einen Moment lang blieb ich reglos stehen, konzentrierte mich einerseits weiter darauf, nicht in den Fleck von der gestrigen Auseinandersetzung zu treten, versuchte gleichzeitig aber, herauszufinden, wo dieses Geräusch herkam.
    »Hey, Lady.«
    Der Junge von gestern schlenderte heran. »Hey«, grüßte ich zurück.
    »Sie brauchen immer noch eine limpieza , das spüre ich.«
    »Ja, und ich habe immer noch kein Interesse daran. Ich muss zur Arbeit. Heute ist mein erster Tag.« Mit dem Daumen zeigte ich auf die Klinik hinter mir. Er schüttelte den Kopf, zutiefst enttäuscht darüber, dass ich zum gegnerischen Team gehörte. »Ich heiße Edie, und du?«
    »Ich bin Olympio.«
    »Und was machst du so den ganzen Tag, Olympio?« Es waren gerade Sommerferien, sonst hätte ich ihn natürlich gefragt, warum er nicht in der Schule war.
    Er grinste und präsentierte dabei seine schiefen Zähne. »Ich versuche, die Leute davon abzuhalten, da reinzugehen. Ihr könnt doch nicht mal die Hälfte dessen bewirken, was mein Großvater kann.«
    »Ach ja?«
    »Bei euch dauert es Monate, bis ihr mal rausgefunden habt, was den Leuten fehlt. Und dann müssen sie für den Rest ihres Lebens Pillen schlucken. Mein Großvater, der könnte dich innerhalb eines Tages heilen!«
    Als Krankenschwester hatte ich es schon sehr oft mit diesem ganzheitlichen Heilungsquatsch zu tun bekommen. Ich hatte Patienten mit Verbrennungen von Schröpfgläsern behandelt oder Vergiftungserscheinungen von falsch ausgezeichneten »Wunderpillen«, die leider mit Blei versetzt waren, kuriert. »Tatsächlich?« Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch.
    »O ja. Mit dir stimmt etwas nicht, Lady. Das spüre ich. Ich weiß zwar nicht, was es ist, aber mein Großvater ist ein großer curandero , er wird es wissen.«
    »Aha.« Ich versuchte wieder, dieses Geräusch ausfindig zu machen. Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Gully; vielleicht pfiff ja nur der Wind durch das Gitter. »Also«, ich konzentrierte mich wieder auf das Gespräch. »Was mich betrifft, irrst du dich.« Außer … Wahrscheinlich merkte man mir an, wie besorgt ich wegen meiner Mom war. Heute Morgen im Spiegel hatte ich es selbst gesehen, da war ein Schatten um die Augen herum. »Da ist nichts, was irgendjemand heilen könnte.«
    »Mein Großvater …«
    »Ich komme zu spät zur Arbeit. Aber ich habe ein zweites Sandwich mitgebracht, für die Mittagspause. Vielleicht könnte ich es bei dir gegen weitere Informationen eintauschen. So um zwölf?«
    Er lehnte sich entspannt an die Mauer,

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