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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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sogar schlimmer, da ich schon so einige schreckliche Dinge gesehen hatte: wirbelnde Schatten, die mich zu verschlingen versuchten; das Furcht einflößende Gebiss eines wütenden Werwolfs; Vampirzähne; Krebs.
    Es wurde wärmer, der Gestank verschlimmerte sich, und plötzlich sahen wir Licht.
    »¿Vas a venir?«
    Durch den Abfluss über uns, bei dem das Gitter fehlte, drang Sonnenlicht herein, doch es erhellte nur einen Fleck an der gegenüberliegenden Wand. Hector hatte sich geirrt, hier unten lagen keine Waffen herum, nur Müll – und zwar so ziemlich alles, was von der Straße hereingeschwemmt worden war. Es stank. Obwohl der Himmel draußen wolkenlos war, gab es hier unten immer noch Wasser, das sich zu widerwärtigen Pfützen sammelte – einige voller Müll, andere schlängelten sich an den Haufen verborgen. Gebückt betrat ich diesen seltsamen Raum, damit ich nicht mit dem Kopf an die schimmelige Decke stieß.
    »Estás aquí.« Die Frau, die nach uns gerufen hatte, saß ganz hinten in einer Ecke. Bisher hatten sich meine Augen ganz gut an die Dunkelheit gewöhnt, aber nun wurden sie von dem wenigen Sonnenlicht geblendet, sodass es schwer war, die Frau zu erkennen. Ich sah kaum mehr als eine zusammengesunkene Gestalt.
    Olympio rührte sich zuerst und fragte: » ¿Abuela, por qué estás aquí?«
    »Me perdí luego me lesioné«, antwortete sie.
    Der Junge drehte sich zu mir um. »Wahrscheinlich kommt sie aus Tecato Town. Sie hat sich verirrt und ist verletzt.«
    Mit dem Strahl der Taschenlampe signalisierte ich ihr, näher zu kommen. Doch sie riss abwehrend die Hände hoch und zog sich noch weiter in ihre Ecke zurück. »Entschuldige, Großmutter«, sagte Olympio schnell.
    Sie hatte sich zusammengekauert und fest in eine schwarze Decke eingewickelt. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und die dünnen, weißen Haare umrahmten in fettigen Löckchen ihr Gesicht. »Kann sie zu uns rüberkommen?«, fragte ich Olympio, ohne die Alte aus den Augen zu lassen. Obwohl ich stark bezweifelte, dass es mir so ergehen würde wie der Heldin in einem Horrorstreifen, hatte ich doch genug solche Filme gesehen, um nicht nachlässig zu werden.
    Sie sagte etwas, das Olympio sofort übersetzte: »Sie sagt, ihr Knöchel tut weh.«
    »Kann sie ihn mir zeigen?«
    Der Junge gab die Frage weiter, woraufhin sie die Decke hochzog, um ihren Fuß freizulegen. Dabei stieß sie zischende, leise Schreie aus, fast wie eine Katze.
    Das Gelenk war rot und angeschwollen – auf jeden Fall entzündet. »Mist.«
    Die Alte sagte noch etwas. »Sie meint, sie könne nicht laufen.«
    Ich schluckte tapfer. Hier drin stank es, wir hatten einen langen Weg hinter uns, und diese kleine alte Dame würde es niemals schaffen, selbstständig nach draußen zu gehen.
    »O nein. Denkst du etwa, was ich vermute, dass du denkst?«, fragte Olympio entsetzt.
    »Schätze schon.« Hitze hin oder her, plötzlich wünschte ich mir, ich hätte einen langärmligen Pullover und Jeans an. Oder noch besser: Isolationsausrüstung, am besten einen Virenschutzanzug. Ich reichte Olympio die Taschenlampe. »Das wird ein langer Heimweg.«
    »Wem sagst du das?«
    Vorsichtig näherte ich mich der Stelle, an der sie hockte, signalisierte ihr, aufzustehen. Und dann streckte ich, trotz des Gestanks und obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, den Arm nach ihr aus.
    Der Teil der Decke, auf dem sie gesessen hatte, war feucht. Wasser? Urin? Etwas noch Schlimmeres? »O Gott«, stöhnte ich, um Kraft zu schöpfen, doch dann machte ich den Mund zu, um nicht diesen Gestank einzuatmen. Ihr knochiger Arm legte sich um meinen Hals, ihre Fingernägel rissen mir die Haut auf. Ich machte einen zögernden Schritt, und indem sie sich auf mich stützte, gelang es ihr ebenfalls, sich hochzuziehen. Dabei tat mein Rücken sowieso schon höllisch weh, weil wir den ganzen Weg gebückt gelaufen waren. Die Alte zog an meinem Hals, um sich voranzuschleppen, und mir rutschte ein Wort raus, das man in feiner Gesellschaft bestimmt nicht sagen darf.
    Auf dem Hinweg waren mir die Tunnel ja schon verdammt lang vorgekommen – aber das war kein Vergleich zum Weg nach draußen, während ich jemanden stützte, der nass war, bestialisch stank und mit vollem Gewicht an mir hing. Allein die Angst davor, dass ein Teil von ihr in Richtung meines Mundes gelangen könnte, etwa ein Stück ihrer Decke oder eine fettige Haarsträhne, allein diese Angst hielt mich davon ab, mich zu übergeben. Also litt ich schweigend,

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