Diagnose zur Daemmerung
hatte nicht abgeschlossen.
Minnie war außer sich vor Freude, mich zu sehen, und folgte mir laut schreiend durch alle Zimmer. »Ich weiß.« Sanft rieb ich ihr mit den Fingerknöcheln über den Kopf, dann zog ich mich aus und ging unter die Dusche.
Als das erledigt war, lud ich den Akku meines Handys auf: drei besorgte Anrufe von meiner Mutter und eine Nachricht von Peter, in der er mir mitteilte, wie furchtbar ich war. Da er mir das schon letzte Nacht durch seinen Tonfall klargemacht hatte, löschte ich sie, ohne mir den ganzen Sermon anzuhören. Dann rief ich Mom an und vereinbarte mit ihr ein frühes Abendessen, wobei ich genau darauf achtete, einerseits krank, aber andererseits ungefährdet zu klingen.
Fünf Stunden und zwölf Nickerchen später stand ich wieder auf. Es war erst drei Uhr nachmittags. Da ich mit nassen Haaren ins Bett gegangen war, musste ich mir einen Pferdeschwanz machen, bevor ich Richtung Hochbahn aufbrach. Weil ich meiner Mutter ein Geschenk mitbringen wollte, stieg ich eine Haltestelle früher aus und besorgte dort einen Blumenstrauß. Dann zurück in die Bahn und nach einem kurzen Fußmarsch erreichte ich schließlich ihr Haus.
Dreimal klopfen, warten. Nichts rührte sich. In dem Moment, als ich erneut nach dem Türklopfer griff, machte mir jemand auf – Peter.
»Hi.«
»Deine Mutter schläft.« Er kam zu mir nach draußen und zog die Tür hinter sich zu.
»Ich kann ja einfach warten …«
»Sie hat die ganze Nacht wach gelegen, ganz krank vor Sorge um dich. Nach dem, was du dir da geleistet hast, werde ich sie jetzt bestimmt nicht aufwecken.«
»Es tut mir leid«, versicherte ich ihm und wollte nach der Klinke greifen. Obwohl er es nicht tat, konnte ich sehen, dass er mir am liebsten einen Klaps auf die Hand gegeben hätte. »Mir ging es wirklich schlecht!«
Übertrieben gründlich musterte er mich. Bestimmt wirkte ich erschöpft, aber nicht krank. Er wusste, wie Kranke aussehen. So wie die Frau, die dort drin lag und schlief.
»Das ist die Wahrheit!«, wehrte ich mich.
»Etwas leiser, bitte«, fauchte er.
»Sie ist meine Mutter, Peter. Du kannst mir nicht verbieten, sie zu sehen«, erwiderte ich schnippisch.
»Sie braucht jetzt Ruhe. Und dieses Bedürfnis ist dringender als der Wunsch, dich zu sehen.« Er atmete tief durch. »Hör mal, Edie, wir sind immer gut miteinander ausgekommen. Deshalb gebe ich dir noch eine Chance. Aber nicht heute, nicht jetzt. Ich werde ihr ausrichten, dass du hier warst.«
Es war einfach unfassbar, dass er mich so abfertigte. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, aber was sollte ich denn tun? Meine Mutter aufwecken, damit sie an die Tür gewankt kam und uns beim Streiten zusah? Das ganz bestimmt nicht. »Hier.« Ich streckte ihm den Strauß entgegen. »Die sind für sie.«
Er musterte die Blumen, ohne sie zu nehmen. »Patienten mit Neutropenie schenkt man keine Sträuße, das solltest du eigentlich wissen.« Damit kehrte er ins Haus zurück und schlug mir die Tür vor der Nase zu.
Kapitel 26
Neutropenische Patienten durften nicht mit Blumen oder Obst in Kontakt kommen, oder mit irgendwelchen anderen Dingen, an denen Keime hängen könnten. Das wusste ich natürlich – auf der Intensivstation waren ja auch keine Blumen gestattet. Und nach der Chemotherapie war meine Mutter selbstverständlich neutropenisch. Wenn sie Glück hatte, befanden sich in ihrem Körper noch ganze vier brauchbare weiße Blutkörperchen, die dort einsam und verlassen herumschwammen wie die letzten Cornflakes in der Müslischale.
Während des gesamten Heimwegs war ich wie betäubt – unbegreiflich, was da gerade passiert war! Dass ich das mit der Neutropenie vergessen hatte, wie Peter mich zur Schnecke gemacht hatte … Kochend vor Wut fuhr ich zurück und konnte mich hinterher kaum noch daran erinnern, wie ich aus der Bahn gestiegen war. Durch warmen Nieselregen ging ich nach Hause. Erst als ich schon fast vor meiner Wohnungstür stand, fiel mir auf, dass ich die Blumen in der Hochbahn liegen gelassen hatte.
Ich zwang mich, mir aus den Resten im Kühlschrank ein Abendessen zu machen. Kurz vor Sonnenuntergang klopfte es. Catrina stand vor meiner Tür, und ich bat sie herein. »Benvenida im Irrenhaus.«
Schmunzelnd ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. »Und was passiert jetzt?«
»Von nun an müssen wir uns Jorgens Zeitplan anpassen, aber ich bin sicher, dass er auftauchen wird.« Immerhin wollte er mich immer noch irgendwohin führen – und
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