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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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»Sonnenaufgang über dem Meer«.
    »Welche Größe wünschen Sie?« fragte der parfümierte Ladendiener.
    Fandorin war verwirrt – an die Größe hatte er nicht gedacht, doch die Ladeninhaberin selbst, Madame Betise, kam ihm zu Hilfe.
    »Henri, der Monsieur braucht Größe eins. Die kleinste«, gurrte sie, während sie den Käufer neugierig musterte (jedenfalls schien es ihm so).
    Stimmt, die kleinste Größe, dachte Fandorin, indem er sich O-Yumis winziges Bein vorstellte. Aber woher wußte diese Frau das? Eine Art Pariser Ninso?
    Die Inhaberin wandte sich ein wenig ab, wobei sie noch immer Fandorin ansah, dann senkte sie plötzlich den Blick und schaute zu den Warenregalen.
    Sie macht mir schöne Augen, entschied der Vizekonsul und blickte, obgleich ihm Madame Betise keineswegs gefiel, flüchtig in den Spiegel. Trotz seiner Erschöpfung und seines zerknitterten Anzugs fand er sich durchaus passabel.
    »Bitte beehren Sie uns öfter, Monsieur Diplomat«, ertönte es hinter ihm.
    Er wunderte sich, aber nicht sehr. Yokohama war klein. Vermutlich wußte man in der Stadt bereits, wer der hochgewachsene, immer (na ja, fast immer) gut gekleidete Brünette mit den blauen Augen und dem wundervoll gezwirbelten Schnurrbart war.
    Obwohl ein leichter Nieselregen fiel (der bewußte Pflaumenregen), war Fandorin in himmlischer Stimmung. Alle, die ihm begegneten, schienen ihn mit aufrichtigem Interesse anzusehen und ihm sogar nachzublicken; das Meer duftete wundervoll, und die vor Anker liegenden Schiffe hätten ein schönes Motiv für Aiwasowskis Pinsel abgegeben. Fandorin sang sogar vor sich hin, was er sich normalerweise nicht gestattete. Eine muntere kleine Melodie mit anspruchslosem Text:
     
    »Yokohama, unsre Stadt
    Die so hübsche Häuschen hat,
    ist nicht hoch und auch nicht breit
    Und kein Weg darin ist weit.«
     
    Doch Yokohama war noch kleiner, als Fandorin ahnte. Davon sollte er sich bald überzeugen.
    Kaum hatte er die Schwelle des Konsulats überschritten, wurde er angerufen.
    Doronin stand am selben Fenster wie vorhin, doch nun wandte er sich nicht taktvoll ab.
    »Herr Vizekonsul!« rief er drohend. »Würden Sie sich bitte in mein Büro bemühen. Sofort, bevor Sie in Ihre Wohnung gehen!«
    Dann verschwand er – vermutlich in die Amtsräume.
    Noch nie hatte Fandorin den wohlerzogenen, zurückhaltenden Doronin so wütend erlebt.
    »Ich habe Ihnen keine Fragen gestellt! Ich habe nicht auf Ihrer Anwesenheit im Konsulat bestanden! Ich habe Ihnen vertraut!«blubberte der Konsul, wobei er mit seinen entzündeten Augen über die blauen Gläser seiner Brille blickte. »Ich nahm an, Sie seien mit Staatsangelegenheiten befaßt, statt dessen … Statt dessen haben Sie sich amourösen Abenteuern hingegeben! Sind in das Haus eines offiziellen Vertreters des Britischen Empire eingedrungen! Haben seine Geliebte entführt! Haben dort randaliert! Tun Sie nicht so erstaunt! Yokohama ist eine kleine Stadt. Neuigkeiten, zumal solche pikanten Charakters, verbreiten sich hier in Windeseile!«
    Der Kutscher, dachte Fandorin. Er hat es seinen Kollegen in der Firma »Archibald Griffin« erzählt, und die haben es im Nu in der ganzen Stadt rumgetratscht. Und die Diener von Bullcocks. Der Küchentelegraf ist der schnellste Informationsweg.
    »Wissen Sie wenigstens, daß Intendant Suga Selbstmord begangen hat? Aber woher denn! Und ich dachte, Sie … Ach Sie, Sie jugendlicher Liebhaber!« Der Konsul winkte ab. »Es gehen allerlei Gerüchte um. Suga hat sich nicht erschossen, nicht einmal Harakiri begangen. Er hat eine uralte, grausame Methode gewählt, der sich die Samurai nur in Gefangenschaft bedienten oder wenn sie sich sehr schuldig fühlten. Alle sind überzeugt, daß der Intendant sich den Tod von Okubo nicht verzeihen konnte und daß seine unverdiente Beförderung ihm den letzten Schlag versetzt habe. Er habe es nicht gewagt, sich dem kaiserlichen Willen zu widersetzen, es aber für unabdingbar gehalten, seine Schuld zu tilgen, indem er ein qualvolles Ende wählte … Warum schweigen Sie, Fandorin? Nun rechtfertigen Sie sich schon, verdammt noch mal! Sagen Sie etwas!«
    »Ich werde morgen reden. Vorerst erlaube ich mir, Sie an Ihr Versprechen zu erinnern: sich nicht einzumischen und keine Fragen zu stellen. Wenn ich eine Niederlage erleide, werde ich mich für alles zusammen verantworten. Jetzt aber habe ich keine Zeit für Erklärungen.«
    Das war gut gesagt, beherrscht und würdevoll, doch der gewünschte Effekt blieb aus.
    »Das

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