Diamantene Kutsche
verzweifelt. »Das ist deine Schuld!«
Sie rannte hinaus auf eine Lichtung. Dort bewegten sich gemächlich schwarze Silhouetten. Es roch nach Pulver und Blut. In der morgendlichen Dämmerung funkelte etwas Längliches.
Ein Geschützlauf, stellte Fandorin fest und schaute sich um.
Der unterirdische Gang führte auf die Bergkuppe. Eine ideale Geschützstellung – Kamata hatte sie bestimmt schon vorher ausgewählt.
Die Schlacht war vorbei. Allem Anschein nach hatte sie nicht lange gedauert. Die Shinobi, durch ihren Geheimgang gekommen, hatten die Schwarzjacken überraschend von hinten angegriffen.
Mitten auf der Lichtung saß Tamba und rauchte seine Pfeife. Die übrigen Ninja trugen die Toten fort. Es war ein grausiger Anblick, irgendwie irreal: Über dem Nebel, der den Boden verhüllte, glitten schweigsame Schatten, immer zu zweit, packten die Toten (die bis auf die weißen Gesichter ebenfalls schwarz waren) an Armen und Beinen und legten sie in Reihen vor ihren Anführer.
Fandorin zählte vier Reihen mit je acht Körpern, ein Stück abseits lag ein weiterer Leichnam – vermutlich der alte Räuber Kamata.Kein einziger hatte sich retten können. Tsurumaki würde nicht einmal erfahren, was mit seinem Kampftrupp geschehen war.
Erschüttert von dem unheimlichen Bild, bemerkte Fandorin gar nicht, daß Midori wieder bei ihm war. Mit heiserer Stimme flüsterte sie ihm ins Ohr: »Ich bin sowieso zu spät gekommen, aber wir beide sind noch nicht fertig.« Ein schlanker Arm legte sich um seine Taille und zog ihn zurück zum Eingang des unterirdischen Ganges.
»Ich werde als große Entdeckerin in die Geschichte des Jojutsu eingehen«, flüsterte Midori, während sie Fandorin in den hohlen Baum schob. »Mir ist eine sehr interessante Komposition eingefallen. Ich gebe ihr den Namen ›Die Liebe der Maulwürfe‹.«
Maulwürfe lieben
Viel inniger und schöner
Noch als Flamingos.
Die nächtliche Verschmelzung der Welt
Tamba sagte: »Ich weiß viel über dich, doch du weißt kaum etwas über mich. Daraus entsteht Mißtrauen, durch Mißtrauen entsteht Unverständnis, und Unverständnis führt zu Fehlern. Frag alles, was du wissen willst, ich werde es dir beantworten.«
Sie saßen zu zweit auf der Lichtung vorm Haus und schauten zu, wie die Sonne aus der Ebene stieg und die Welt mit ihrem rosigen Strahlen erfüllte. Tamba rauchte seine kleine Pfeife, die er hin und wieder mit einer neuen Portion Tabak stopfte. Fandorin hätte nichts gegen eine Zigarre einzuwenden gehabt, doch eine Schachtel ausgezeichneter Manilas war in seinem Gepäck geblieben, auf der anderen Seite der Schlucht, die das Shinobidorf von der übrigen Welt trennte.
»Wie viele seid ihr?« fragte er. »Nur elf?«
Auf dem Schlachtfeld hatte er elf Personen gezählt. Als das Liebespaar erdverkrustet aus der unterirdischen Höhle gekrochen war, hatten die Shinobi ihr düsteres Werk bereits beendet. Die Toten waren gezählt, in eine Grube geworfen und mit Steinen bedeckt worden. Tambas Leute hatten die Masken abgenommen, und darunter waren ganz normale japanische Gesichter zum Vorschein gekommen – sieben Männer, vier Frauen.
»Es gibt noch vier Kinder. Und Satoko, die Frau von Gohei. Sie hat nicht mitgekämpft, weil sie bald ein Kind bekommt. Außerdem noch drei junge Männer, sie sind in der großen Welt.«
»Als Spione?« fragte Fandorin. Wenn der Jonin wirklich ein offenes Gespräch wollte, dann zum Teufel mit den Zeremonien.
»Zum Lernen. Einer studiert an der Tokioter Universität, er wird Arzt. Einer wird in Amerika Ingenieur. Einer studiert in London Elektrotechnik. Heutzutage geht es nicht mehr ohne die europäischen Wissenschaften. Der große Tamba hat gesagt: ›Allen voraus sein, mehr wissen als alle anderen.‹ Seit dreihundert Jahren folgen wir diesem Vermächtnis.«
»Wie konntet ihr so viele Jahre euer Geheimnis bewahren?«
»Das war der Wille von Tamba I. Er sagte: ›Am stärksten ist der, den man nicht sieht und nicht hört, der aber seinerseits alle sieht und hört.‹ Und: ›Die Iga-Ninja sind tot, nun sind sie unsterblich.‹«
»Aber ist denn Tamba I. nicht zusammen mit seinen Leuten gefallen? Man hat mir erzählt, die Feinde hätten alle bis auf den letzten Mann ausgerottet.«
»Nein. Tamba entkam mit seinen beiden besten Schülern. Er hatte zwei Söhne, aber die nahm er nicht mit, sie starben, denn Tamba war wahrhaft groß, sein Herz war so hart wie Diamant. Der letzte Jonin der Iga-Ninja nahm die Würdigsten mit, die
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