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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Kochkünste waren so exzellent, daß der Baron gar nicht mehr aufhören konnte, als er einmal angefangen hatte. Er schickte Harv und Nell immer wieder in die Küche zurück, damit sie ihm noch mehr zu essen brachten, und obwohl er immer wieder etwas auszusetzen hatte und aufstand, um sie zu schlagen, schien er entschieden zu haben, daß sie lebend nützlicher wären als tot.
    »Manchmal verbrannte er ihnen auch die Haut mit Zigaretten«, flüsterte Nell.
     
    Die Buchstaben auf der Seite der Fibel veränderten sich.
    »Prinzessin Nells Pipi wurde auch ganz rot«, sagte Nell, »weil der Baron ein böser Mann war. Und sein richtiger Name war nicht Baron Jack. Sein richtiger Name war Burt.«
    Während Nell die Worte aussprach, veränderte sich die Geschichte in der Fibel.
    »Und Harv konnte seinen Arm nicht gebrauchen wegen dem Handgelenk, daher mußte er alles mit einer Hand tragen, weil nämlich Burt ein böser Mann war und ihm sehr weh getan hatte«, sagte Nell.
    Nach längerem Schweigen fing die Fibel wieder an zu sprechen, aber die reizende Stimme der Vicky-Frau, die die Geschichte erzählte, klang plötzlich belegt und heiser und verhaspelte sich manchmal mitten in den Sätzen.
     
    Baron Burt aß den ganzen Tag, bis schließlich die Sonne unterging.
    »Verrammelt die Türen«, sagte eine hohe Fistelstimme, »sonst holen uns die Trolle!«
    Die Worte wurden von einem kleinen Mann in Anzug und Zylinder gesprochen, der gerade zur Tür hereingehuscht war und nervös den Sonnenuntergang betrachtete.
    »Wer ist dieser Piepmatz, der mein Essen stört!?« brauste Baron Burt auf.
    »Das ist unser Nachbar«, sagte Prinzessin Nell. »Er kommt uns abends immer besuchen. Bitte erlauben Sie ihm, daß er sich ans Feuer setzt.«
    Baron Burt sah ein wenig mißtrauisch drein, doch in diesem Augenblick stellte Harv einen köstlichen Käsekuchen mit Erdbeeren vor ihn, und da vergaß er den kleinen Mann völlig, bis sich ein paar Minuten später die hohe Fistelstimme wieder zu Wort meldete:
     
    Baron Burt kam zum Schloß einst als Freier.
    Er war böser Kraftmeier, Doch das half ihm nicht viel, Denn trank er zuviel, Dann hat er gekotzt wie ein Reiher.
     
    »Wer wagt es, den Baron zu verspotten!?« bellte Baron Burt, senkte den Blick und wurde des kleinen Besuchers gewahr, der sich lässig auf seinen Stock stützte und ein Glas hob, als wollte er auf Burts Gesundheit trinken.
     
    Majestät, bitte seid doch so gut, Und geht bald zu Bette und ruht, Denn Ihr seid nicht gut drauf, Und es passiert, paßt nur auf, Daß Ihr die Hose Euch vollpissen tut.
     
    »Bringt mir ein Faß Bier!« brüllte Baron Burt. »Und bringt auch eines für diese Witzfigur, dann werden wir schon sehen, wer sein Wasser halten kann.«
    Harv rollte zwei Fässer Starkbier in den Saal. Baron Burt hob seines an die Lippen und trank es in einem Zug leer. Der kleine Mann auf dem Boden folgte sogleich seinem Beispiel.
    Danach wurden zwei Schläuche Wein gebracht, und wieder tranken Baron Burt und der kleine Mann sie mühelos leer.
    Schließlich wurden zwei Flaschen Schnaps gebracht, und der Baron und der kleine Mann tranken abwechselnd immer einen Schluck, bis die Flaschen leer waren. Der Baron konnte das Fassungsvermögen des kleinen Mannes kaum begreifen; aber da stand er, aufrecht und nüchtern, während Baron Burt immer betrunkener wurde.
    Schließlich zog der kleine Mann eine winzige Flasche aus seiner Tasche und sagte:
     
    Junge Männer finden Bier gut und fein
    Und Erwachsene trinken mehr Wein
    Schnaps ist ein Geschenk
    Eines Königs Getränk
    Doch sind sie nichts im Vergleich mit Moonshine.
     
    Der kleine Mann entkorkte die Flasche und trank daraus, dann gab er sie Baron Burt. Der Baron trank einen Schluck und schlief sofort in seinem Sessel ein.
    »Auftrag ausgeführt«, sagte der kleine Mann, zog den Zylinder mit einer tiefen Verbeugung ab und entblößte zwei lange, pelzige Ohren - denn er war kein anderer als der verkleidete Peter.
    Prinzessin Nell lief in die Küche, um Dinsosaurier Bescheid zu sagen, der mit einem langen Holzpfahl am Feuer saß, in den Kohlen stocherte und den Pfahl immerzu herumdrehte, damit er ganz spitz wurde. »Er schläft!« flüsterte sie.
     
    Miranda, die im Parnasse in ihrer Bühne saß, verspürte grenzenlose Erleichterung, als die nächste Zeile auf dem Prompter aufleuchtete. Sie holte tief Luft, bevor sie sie las, konzentrierte sich und versuchte, sich in das Dunkle Schloß hineinzuversetzen. Sie sah Prinzessin Nell tief in

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