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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Hauptstraße von Lazy Bay Town, der Leasing-Parzelle, wo die Spore sie rausgeworfen hatte. Die Hauptstraße führte kurvenreich am Ufer entlang und trennte den Strand von einer großen Anzahl Schankhäuser mit knallbunten, zotigen Mediatronfassaden. »Ich will da nicht hingehen«, sagte Nell, die sich an den letzten Korridor dieser elektromagnetischen Zuhälter erinnerte. Aber Harv packte sie am Handgelenk, humpelte bergab und zog sie mit sich. »Es ist sicherer als auf den Nebenstraßen. Und jetzt laß mich von diesem Buch erzählen. Meine Kumpels und ich haben es, zusammen mit anderen Sachen, einem Vicky abgenommen, den wir überfallen haben. Doc hat uns gesagt, daß wir ihn überfallen sollen.«
    »Doc?«
    »Dieser Chinese, dem der Flohzirkus gehört. Er hat gesagt, daß wir ihn überfallen und es gut machen sollen, damit es auch ganz bestimmt von den Monitoren erfaßt wird.«
    »Was bedeutet das?«
    »Vergiß es. Er hat auch gesagt, daß wir diesem Vicky etwas abnehmen sollen – ein Päckchen, etwa so groß.« Harv machte rechte Winkel mit Daumen und Zeigefingern und deutete ein etwa buchgroßes Rechteck an. »Gab uns zu verstehen, daß es wertvoll ist. Wir haben so ein Päckchen nicht bei ihm gefunden. Aber wir fanden ein beschissenes altes Buch. Ich meine, es sah alt und edel aus, aber niemand kam auf den Gedanken, daß es das sein könnte, wonach Doc gesucht hat, weil er schon jede Menge Bücher hat. Darum hab ich es dir mitgebracht.
    Jedenfalls, eine Woche später oder so wollte Doc wissen, wo sein Päckchen ist, und wir haben ihm diese Geschichte erzählt. Als er von dem Buch hörte, ist er ausgeflippt und hat uns gesagt, daß das Buch und das Päckchen ein und dasselbe gewesen wären. Zu dem Zeitpunkt hast du schon Tag und Nacht mit dem Buch gespielt, Nell, und ich hab's nicht fertiggebracht, es dir wieder wegzunehmen, darum hab ich gelogen. Ich hab zu ihm gesagt, ich hätte das Buch weggeworfen, als ich sah, daß es nichts wert war, und wenn es dort nicht mehr lag, müßte jemand anders gekommen sein und es mitgenommen haben. Doc war stinksauer, hat's aber geschluckt.
    Darum habe ich meine Kumpels nie mit in die Wohnung gebracht. Wenn jemand rauskriegt, daß du das Buch hast, bringt Doc mich um.«
    »Was sollen wir tun?«
    Harv machte ein Gesicht, als wollte er lieber nicht darüber reden. »Besorgen wir uns erst mal ein bißchen Gratiszeug.«
    Sie schlichen auf verschlungenen Umwegen zum Ufer und hielten sich so gut es ging fern von den Gruppen Betrunkener, die sich durch die Konstellationen grell beleuchteter Bordelle bewegten wie kalte, dunkle Felsbrocken durch einen strahlenden Nebel junger Sterne. Sie gingen zu einem öffentlichen MC an einer Straßenecke und suchten sich etwas vom Gratismenü aus: Kartons mit Wasser und Nährbrühe, verpacktes Sushi aus Nanosurimi und Reis, Schokoriegel und Päckchen, etwa so groß wie Harvs Hände, die man zu großen, raschelnden, metallbeschichteten Decken aufklappen konnte und auf denen unglaubwürdige Versprechungen in Druckbuchstaben prangten (»R EFLEKTIERT 99% INFRAROT !«) Nell waren eine Menge umrißhafte Gestalten aufgefallen, die am Strand verstreut lagen wie verchromte Larven. Mußten andere Obdachlose sein, die sich in solche Decken eingewickelt hatten. Kaum hatten sie die Sachen verstaut, liefen sie zum Strand hinunter und suchten sich eine eigene Stelle. Nell wollte eine näher an der Brandung haben, aber Harv machte einige wohldurchdachte Bemerkungen, wie wenig ratsam es sei, unterhalb der Flutlinie zu übernachten. Sie stapften gut eine Meile am Damm entlang, bis sie einen vergleichsweise menschenleeren Strandabschnitt fanden und sich in ihre Decken einwickelten. Harv bestand darauf, daß immer einer von ihnen wach sein und als Wachtposten fungieren mußte. Darüber hatte Nell alles in ihren virtuellen Abenteuern mit der Fibel gelernt, daher meldete sie sich freiwillig für die erste Wache. Harv schlief ziemlich schnell ein, und Nell schlug ihr Buch auf. In Zeiten wie dieser leuchtete das Papier schwach, und die Buchstaben zeichneten sich gestochen scharf und schwarz ab wie die Äste von Bäumen vor dem Vollmond.
     

Mirandas Reaktionen auf die Ereignisse des Abends;
Trost von unerwarteter Seite; die Fibel erzählt vom Dahinscheiden eines Helden, der Flucht ins Land
Jenseits und dem Reich von König Elster.
    Das Theatre Parnasse besaß eine hübsche Bar, nichts Weltbewegendes, nur eine Art Wohnzimmer abseits des Hauptgeschosses, und die Bar selbst

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