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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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obschon attraktiv, schlank und ausgeglichen, doch an genügend Selbstvertrauen fehlte, Lord Finkle-McGraws Haus in etwas anderem als einem eigens für diesen Anlaß angefertigten Kleid zu besuchen.
    Das graue Licht, das durch die hohen Fenster in das Gesellschaftszimmer fiel, war sanft wie Nebel. Als Mrs. Hackworth in dieses Licht eingehüllt dastand und beigen Tee aus einer durchscheinend feinen Porzellantasse trank, verschwand ihre beherrschte Maske, und man sah ihrem Gesicht ein klein wenig an, wie sie tatsächlich empfand. Ihr Gastgeber, Lord Finkle-McGraw, dachte bei sich, daß sie hager und besorgt aussah, auch wenn ihre eiserne Selbstbeherrschung während der ersten Stunde ihres Gesprächs den gegenteiligen Eindruck erweckt haben mochte.
    Da er spürte, daß sein Blick länger als schicklich auf ihrem Gesicht verweilte, wandte er sich wieder den drei Mädchen zu, die durch den Garten tollten. Eines der Mädchen hatte rabenschwarzes Haar, das ihren koreanischen Einschlag verriet; nachdem er ihren Aufenthaltsort als eine Art Bezugspunkt bestimmt hatte, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf das dritte Mädchen, dessen Haar sich mitten in einem natürlichen Übergang von blond nach braun befand. Das Mädchen war das größte der drei, obwohl sie alle ungefähr im selben Alter waren; auch wenn sie bereitwillig an allen unbeschwerten Spielen teilnahm, begann sie selbst kaum eines, und wenn sie sich selbst überlassen blieb, neigte sie zu einem ernsten Gebaren, durch das sie um Jahre älter als ihre Spielkameradinnen wirkte. Während der Dividenden-Lord den Weg des Trios verfolgte, stellte er fest, daß selbst ihre Art, sich zu bewegen, sich von der der anderen unterschied; sie ging leichtfüßig und behende, wohingegen die beiden anderen unvorhersehbar herumhüpften wie Gummibälle auf unebenem Boden.
    Der Unterschied bestand darin (wurde ihm bewußt, als er sie eingehender beobachtete), daß Nell stets genau wußte, wohin sie ging. Elizabeth und Fiona niemals. Dies war keine Frage angeborener Intelligenz (das immerhin bewiesen die Tests und Beobachtungen von Miss Matheson), sondern emotionalen Befindens. Etwas in der Vergangenheit des Mädchens hatte ihr auf drastische Weise bewußt gemacht, daß es immer wichtig war, alles zu bedenken.
    »Ich bitte Sie um eine Vorhersage, Mrs. Hackworth. Welche wird das Heideland als erste erreichen?«
    Kaum hörte sie seine Stimme, wurde ihr Gesicht wieder gefaßt. »Das klingt nach einem Brief an die Etikette-Kolumnistin der
Times.
Wenn ich versuche, Ihnen zu schmeicheln, indem ich sage, es wird Ihre Enkelin sein, kreide ich ihr damit unterschwellig einen impulsiven Charakter an?«
    Der Lord lächelte nachsichtig. »Vergessen wir die Etikette - eine gesellschaftliche Konvention und für die vorliegende Frage nicht von Bedeutung –, und seien wir wissenschaftlich.«
    »Ah. Wenn doch nur mein John hier wäre.«
    Er ist hier,
dachte John Finkle-McGraw,
in jedem dieser Bücher.
Aber er sprach es nicht laut aus. »Nun gut, ich will das Risiko einer Demütigung eingehen und die Prophezeiung wagen, daß Elizabeth die Mauer als erste erreichen wird; Nell wird den geheimen Durchgang entdecken; aber Ihre Tochter wird sich als erste auf die andere Seite wagen.«
    »Ich bin sicher, Sie könnten in meiner Gegenwart niemals gedemütigt werden, Euer Gnaden«, sagte Mrs. Hackworth. Sie mußte es sagen, und er hörte es eigentlich gar nicht richtig.
    Sie wandten sich wieder den Fenstern zu. Als die Mädchen noch einen Steinwurf von der Mauer entfernt waren, gingen sie zielstrebiger darauf zu. Elizabeth löste sich von der Gruppe, rannte los und berührte als erste die kühlen Steine, dicht gefolgt von Fiona. Nell, die ihre bedächtige Gangart nicht verändert hatte, kam zuletzt.
    »Elizabeth ist die Enkelin eines Herzogs und daran gewöhnt, ihren Willen zu bekommen, daher besitzt sie keine natürliche Zurückhaltung; sie setzt sich an die Spitze und fordert das Ziel als Geburtsrecht für sich«, erklärte Finkle-McGraw. »Aber sie hat nicht wirklich bedacht, was sie tut.«
    Elizabeth und Fiona hatten inzwischen beide die Hände auf die Mauer gelegt, als wäre sie das Frei beim Fangenspielen. Aber Nell war stehengeblieben und betrachtete die Mauer von einer Seite bis zur anderen und begutachtete die gesamte Länge, die sich über das zunehmend unebenere Land erstreckte. Nach einiger Zeit streckte sie eine Hand aus, deutete auf einen nicht weit entfernten Abschnitt der Mauer und ging darauf

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