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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zu.
    »Nell ist über Stimmungen erhaben und gebraucht ihren Verstand«, sagte Finkle-McGraw. »Für die anderen Mädchen ist die Mauer etwas Dekoratives, richtig? Etwas Hübsches, zu dem man hinlaufen und das man untersuchen kann. Aber nicht für Nell. Nell weiß, was eine Mauer ist. Das Wissen wurde ihr schon beizeiten eingetrichtert, sie muß nicht darüber nachdenken. Nell interessiert sich mehr für Türen als für Mauern. Geheime, verborgene Türen sind besonders interessant für sie.«
    Fiona und Elizabeth folgten unsicher, strichen mit den winzigen rosa Händen über den grauen Stein und wußten nicht, wohin Nell sie führte. Nell lief durch das Gras, bis sie zu einer kleinen Vertiefung kam. Sie verschwand fast darin, als sie zum Fundament der Mauer kletterte.
    »Eine Abwasserleitung«, erläuterte Finkle-McGraw. »Bitte beunruhigen Sie sich nicht. Ich bin heute morgen dort vorbeigeritten. Das Wasser ist nur knöcheltief, und der Durchmesser des Rohres gerade richtig für achtjährige Mädchen. Der Durchgang ist mehrere Meter lang - eher vielversprechend als beängstigend, hoffe ich.«
    Fiona und Elizabeth, die Nells Entdeckung verblüffte, bewegten sich vorsichtig. Alle drei Mädchen verschwanden in der Vertiefung. Ein paar Augenblicke später konnte man einen feuerroten Haarschopf sehen, der übermütig durch die Heidelandschaft auf der anderen Seite hüpfte. Fiona erklomm eine kleine Felsenanhöhe, die den Beginn der Heide kennzeichnete, und winkte ihren Gefährtinnen aufgeregt zu.
    »Nell hat den geheimen Durchgang gefunden, aber sie ist vorsichtig und geduldig. Elizabeth ist betroffen angesichts ihres vorherigen impulsiven Handelns – sie kommt sich albern vor und ist möglicherweise ein wenig verstimmt. Fiona –«
    »Fiona sieht zweifellos einen magischen Durchgang zu einem verzauberten Königreich«, sagte Mrs. Hackworth, »und ist in diesem Augenblick bitter enttäuscht, daß Sie das Gelände nicht mit Einhörnern und Drachen bevölkert haben. Sie würde nicht einen Augenblick zögern, diesen Tunnel zu durchqueren. Meine Fiona will nicht in dieser Welt leben, Euer Gnaden. Sie wünscht sich eine andere Welt, wo Magie allgegenwärtig ist und Märchen wahr werden und ...«
    Sie verstummte und räusperte sich unbehaglich. Lord Finkle-McGraw schaute in ihre Richtung und sah ihren bekümmerten Gesichtsausdruck, den sie hastig verbarg. Er kannte den Rest ihres Satzes, ohne ihn zu hören: ...
wo mein Mann hier bei uns ist.
    Ein Reiterpaar, ein Mann und eine Frau, kamen den Schotterweg entlang, der an der Grenze des Gartens verlief, und passierten ein schmiedeeisernes Tor in der Mauer, das sich für sie auftat. Der Mann war Colin, der Sohn von Lord Finkle-McGraw, die Dame an seiner Seite seine Frau, und sie waren auf die Heide hinausgeritten, um ihre Tochter nebst ihren beiden Freundinnen im Auge zu behalten. Als sie sahen, daß ihre Aufsicht nicht mehr erforderlich war, wandten sich Lord Finkle-McGraw und Mrs. Hackworth vom Fenster ab und rückten unwillkürlich näher an das Feuer, das in einem Kamin von der Größe einer Garage loderte.
    Mrs. Hackworth setzte sich auf einen kleinen Schaukelstuhl, der Lord entschied sich für einen alten und unansehnlich zerschlissenen Ledersessel. Ein Dienstmädchen schenkte Tee nach. Mrs. Hackworth stellte sich Tasse und Untertasse auf den Schoß, hielt sie mit beiden Händen fest und sammelte sich.
    »Ich verspüre den Wunsch, gewisse Fragen nach dem Aufenthalt und den Aktivitäten meines Mannes zu stellen, die praktisch seit dem Augenblick seiner Abreise ein Geheimnis für mich sind«, sagte sie, »doch wurde ich durch seine vorsichtigen und zurückhaltenden Bemerkungen mir gegenüber in dem Glauben gelassen, daß die Natur dieser Aktivitäten durchaus ein Geheimnis bleiben sollen, und falls Euer Gnaden etwas darüber wissen – was selbstverständlich nur eine grundlose Vermutung meinerseits ist –, Sie dieses Wissen mit äußerster Diskretion behandeln müssen. Es erübrigt sich zweifellos zu betonen, daß ich nicht einmal meine klägliche Überzeugungskraft dazu verwenden würde, Sie zu verleiten, das Vertrauen zu mißbrauchen, das man an höherer Stelle in Sie setzt.«
    »Setzen wir voraus, daß wir beide nur ehrenvoll handeln werden«, sagte Finkle-McGraw mit einem tröstlichen, beiläufigen Lächeln.
    »Danke. Mein Mann schreibt mir jede Woche Briefe, aber sie sind überaus allgemein gehalten, unverbindlich und oberflächlich. In den letzten Monaten tauchen

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