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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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lange Beine, alabasterfarbene Haut, die heftig errötet, wenn ich leidenschaftlich auf etwas reagiere, was häufig vorkommt.«
    »Deine Beschreibung erinnert mich an meine verstorbene Frau, Gott sei ihrer Seele gnädig.«
    »Erzähl mir von deiner Frau.«
    »Das Thema erfüllt mich mit so unerträglicher Traurigkeit, daß ich es nicht fertigbringe, darüber zu schreiben. Und jetzt laß uns aufhören und an der Turing-Maschine arbeiten.«
    Da die laszive Methode zu nichts geführt hatte, versuchte Nell es mit etwas anderem: Sie stellte sich dumm. Früher oder später würde der Herzog ein wenig ärgerlich werden. Aber er blieb stets schrecklich geduldig mit ihr, auch nach der zwanzigsten Wiederholung von »Könntest du mir das mit anderen Worten erklären? Ich habe es immer noch nicht verstanden.« Natürlich wäre es denkbar gewesen, daß er sich die Knöchel blutig schlug und einfach nur so tat, als wäre er geduldig. Ein Mann, der jahrelang eingesperrt in einem Turm saß, würde lernen, äußerst geduldig zu sein.
    Sie versuchte es, indem sie ihm Gedichte schickte. Er schickte überschwengliche Rezensionen als Antwort, weigerte sich aber, ihr eigene Gedichte zu schicken, da sie nicht gut genug seien, sie in Metall zu kleiden.
    Am zwanzigsten Tag im Verlies gelang es Prinzessin Nell schließlich, das Schloß zu öffnen. Anstatt unverzüglich zu fliehen, schloß sie sich wieder ein, setzte sich und dachte über ihren nächsten Schachzug nach.
    Wenn der Herzog ein Mensch war, sollte sie ihn informieren, damit sie ihre Flucht planen konnten. Falls er eine Maschine war, würde es eine Katastrophe heraufbeschwören, wenn sie es tat. Sie mußte die Identität des Herzogs feststellen, bevor sie handelte.
    Sie schickte ihm noch ein Gedicht.
     
    Für des Griechen Liebe gab sie ihr Herz
    Ihren Vater, die Krone, ihr Heimatland.
    Auf Naxos betteten sie sich zur Ruh
    Sie erwachte alleine am Strand
    Das Segelschiff ihres Geliebten verschwand
    Hinter der Krümmung der Erde. Ariadne
    Fiel nieder auf dem zerwühlten Sand
    Und träumte von daheim. Minos verzieh ihr nicht
    Mit diamantenen Tränen in den Augen
    ließ er sie in das Labyrinth werfen.
    Diesmal war sie allein. Durch eine Wildnis
    Der Schwärze wanderte Ariadne viele Tage
    Bis sie über die Erinnerung stolperte, Die an jenem Orte aufgespult worden.
    Sie wickelte sie um den Finger
    Hob sie vom Boden auf
    Wob sie zu Spitze
    Löschte sie aus.
    Die Spitze ein Geschenk für den, der sie eingesperrt.
    Blind vor Tränen las er mit den Fingern
    Und öffnete die Arme.
     
    Die Antwort erfolgte viel zu schnell, und es war dieselbe Antwort wie immer: »Ich beneide dich so sehr um dein Geschick mit Worten. Und jetzt, wenn du nichts dagegen hast, wollen wir unsere Aufmerksamkeit wieder dem Getriebe der Turing-Maschine zuwenden.«
    Sie war so deutlich geworden, wie sie wagte, und der Herzog hatte die Botschaft immer noch nicht verstanden. Er mußte eine Maschine sein.
    Warum die Täuschung?
    Der mechanische Herzog wollte eindeutig, daß sie etwas über die Turing-Maschinen lernte. Das heißt, falls eine Maschine überhaupt etwas wünschen konnte.
    Etwas mit der Programmierung des Herzogs mußte nicht stimmen. Er wußte, daß etwas nicht stimmte, brauchte aber einen Menschen, der es in Ordnung brachte.
    Nachdem Nell das herausgefunden hatte, löste sie den Rest der Geschichte von Schloß Turing schnell und zielstrebig. Sie schlich sich aus ihrer Zelle und erkundete verstohlen das Schloß. Die Soldaten bemerkten sie kaum, und wenn doch, konnten sie nicht improvisieren; sie mußten zuerst zum Herzog, um sich neu programmieren zu lassen. Schließlich gelangte Prinzessin Nell in das Zimmer unter der Windmühle, in dem sich eine Kupplungsvorrichtung befand. Indem sie die Kupplung löste, konnte sie den Schaft stillegen. Binnen weniger Stunden waren die Federn in den Rücken der Soldaten allesamt abgelaufen, und sie blieben alle stehen. Das gesamte Schloß war erstarrt, als hätte sie es mit einem Zauber belegt.
    Da sie sich nun frei bewegen konnte, öffnete sie den Thron des Herzogs und fand eine Turing-Maschine darunter. Auf beiden Seiten der Maschine führte ein schmales Loch durch den Boden in die Erde, soweit der Schein der Fackel reichte. Die Kette, die das Programm des Herzogs enthielt, baumelte auf beiden Seiten in diese Löcher. Nell warf Steine in die Löcher, hörte aber nicht, wie sie auf dem Boden landeten; die Kette mußte unvorstellbar lang sein.
    Hoch droben in einem der Türme

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