Diamond Age - Die Grenzwelt
dem sich eines der zwölf Schlösser am Eisentor des Dunklen Schlosses öffnen ließ.
Prinzessin Nell und ihre Freunde erlebten viele Abenteuer, bis sie jedem der zwölf Königreiche einen Besuch abgestattet hatten, um die zwölf Schlüssel zu holen. Manche bekamen sie durch Überredungskünste, manche durch List, und manche mußten sie erobern. Am Ende ihrer Suche waren einige von Nells vier Freunden gestorben und einige ihrer Wege gegangen. Aber Nell war nicht allein, denn im Verlauf ihrer Abenteuer war sie eine gefeierte Heldin geworden.
In einem großen Schiff, von vielen Soldaten, Dienern und Ältesten begleitet, reiste Nell über das Meer zurück zur Insel des Dunklen Schlosses. Als sie sich dem Eisentor näherte, sah Harv sie von einer Turmspitze und sagte ihr grimmig, daß sie fortgehen sollte, denn Nell hatte sich während ihrer Wanderschaft so sehr verändert, daß Harv sie nicht mehr erkannte. »Ich bin gekommen, um dich zu befreien«, sagte Prinzessin Nell. Harv sagte ihr wieder, daß sie fortgehen sollte, weil er in den Mauern des Dunklen Schlosses alle Freiheit hätte, die er brauchte.
Prinzessin Nell steckte die zwölf Schlüssel in die zwölf Schlösser und öffnete sie eines nach dem anderen. Als sich die rostige Tür des Schlosses schließlich auftat, sah sie Harv mit gespanntem Bogen und einem Pfeil, der mitten in ihr Herz zielte, bereitstehen. Er schoß den Pfeil ab und der Pfeil traf ihre Brust und hätte sie getötet, wenn sie nicht ein Medaillon getragen hätte, das Harv ihr vor vielen Jahren gegeben hatte, bevor sie das Schloß verließ. Der Pfeil traf und zertrümmerte das Medaillon. Im selben Augenblick wurde Harv von einem Pfeil niedergestreckt, den einer der Soldaten von Prinzessin Nell abgeschossen hatte. Nell eilte zu ihrem niedergesunkenen Bruder und tröstete ihn und weinte drei Tage und drei Nächte über seinem Leichnam. Als sie ihre Augen schließlich trocknete, sah sie, daß das Dunkle Schloß wundervoll geworden war; denn der Strom der Tränen aus ihren Augen hatte den Boden getränkt, über Nacht waren herrliche Gärten und Wälder gewachsen, und das Dunkle Schloß selbst war nicht mehr dunkel, sondern ein leuchtendes Fanal voll der prächtigsten Dinge. Prinzessin Nell lebte in diesem Schloß und herrschte den Rest ihrer Zeit über die Insel, und sie ging jeden Morgen in dem Garten spazieren, wo Harv gefallen war. Sie erlebte viele Abenteuer und wurde eine große Königin, und zu gegebener Zeit lernte sie einen Prinzen kennen, den sie heiratete, und sie hatten viele Kinder und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
»Was ist ein Abenteuer?« fragte Nell.
Das Wort wurde über die ganze Seite geschrieben. Dann füllten sich beide Seiten mit beweglichen Bildern grandioser Schauspiele: Mädchen in Rüstungen, die mit Schwertern gegen Drachen kämpften; Mädchen, die auf weißen Einhörnern durch die Wälder ritten; Mädchen, die an Lianen schwangen, durch das blaue Meer schwammen, Raumschiffe durch das Weltall steuerten. Nell betrachtete die ganzen Bilder lange Zeit, und nach einer Weile sahen alle Mädchen wie ältere Versionen von ihr selbst aus.
Richter Fang stattet seinem Bezirk einen Besuch ab;
Miss Pao organisiert eine Vorführung;
der Fall des gestohlenen Buchs nimmt eine überraschende Wendung.
Als Richter Fang in Begleitung seiner Assistenten Chang und Miss Pao auf seinem Chevalin über die Brücke ritt, sah er die in den Pesthauch des Smog eingehüllten Leasing-Parzellen. Die smaragdgrünen Hochländer von Atlantis/Shanghai schwebten über den Schwaden. Ein Schwärm verspiegelter Aerostats umgab das luftige Reich und beschützte es vor größeren und deutlich sichtbareren Eindringlingen; von hier, Meilen entfernt, konnte man die einzelnen Sporen freilich nicht sehen, aber im Ganzen nahm man sie als ein unterschwelliges Schimmern in der Luft wahr, eine vollkommen durchsichtige, riesige Kuppel, die das allerheiligste Gebiet der Angloamerikaner umgab und sich im wechselhaften Spiel der Windböen hierhin und dorthin verformte, aber niemals aufriß.
Die Aussicht wurde verdorben, als sie sich den Leasing-Parzellen näherten und in den ewigen Nebel eindrangen. Mehrmals, während sie durch die Straßen der LPs fuhren, machte Richter Fang eine eigentümliche Geste: Er krümmte die Finger der rechten Hand zu einem Zylinder, als hielte er einen unsichtbaren Bambusstab. Die andere Hand hielt er hohl darunter, so daß eine dunkle Höhlung entstand, in der er mit einem
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