Diana - sTdH 5
vorbeizufahren. Es war ganz
schrecklich. Papa hat furchtbar abgenommen und ist immerzu in der Kirche, was
ja an sich ganz in Ordnung wäre, aber es scheint ihm keinerlei Trost zu bereiten.
Ich fürchte, er macht sich bittere Vorwürfe wegen Mamas Tod.«
»Wie wir
alle«, seufzte Minerva. »Wie konnten wir nur so dumm sein und ihr Verhalten als
gegeben hinnehmen? Wie geht es Diana?«
»Ja, das
macht mir am meisten Sorgen. Sie ist finster und hager geworden und scheint den
ganzen Tag nur herumzusitzen oder einsame Spaziergänge zu machen. Sie zeigte
nicht einmal Interesse an der Jagd.«
»Das sollte
sie auch nicht«, sagte Minerva streng. »Jagen ist kein Sport für eine Lady, und
ich denke oft, es ist auch kein Sport für einen Gentleman.«
Daphne
errötete leicht. »Halte mir keine Moralpredigt, Merva, weil ich es dir erzählen
muß. Ich habe es fertiggebracht, daß Papa Diana erlaubt hat, zu jagen. Es war
unmittelbar vor meiner Hochzeit. Er hat es unter der Voraussetzung erlaubt,
daß sie sich als Mann verkleidet.«
»Aber das
hat sie doch wohl nicht getan!«
»Doch, und
es hat keinen Sinn, mich so böse anzustarren, Merva, weil Diana für die Jagd
lebt.«
»Aber wenn
es je herauskommen sollte ...«
»Es ist
herausgekommen. Squire Radford hat sie auf der Jagd erkannt, und deshalb wurde
sie zu Lady Godolphin geschickt, die sie auf die Saison vorbereiten sollte.
Jetzt besteht natürlich keine Hoffnung auf die Saison wegen Mamas Tod.« Daphne
legte die Hände ineinander und schaute ihre Schwester flehend an. »Wir müssen
Diana ermutigen, wieder zu jagen, Minerva. Es ist das einzige, was ihr und
auch Papa hilft, das Unglück zu überwinden.«
»Ich könnte
so etwas nicht gutheißen!«
»Wenn es
Squire Radford wußte, dann haben auch einige andere Leute auf dem Land Bescheid
gewußt. Bevor es sich herumspricht, daß sie als Mann gekleidet jagte, schicken
wir ihr lieber ein ganz schickes Jagdkostüm und einen Damensattel. Das war
meine Überlegung. Verstehst du das nicht? Die Leute halten es sicher für sehr
merkwürdig, daß Diana überhaupt jagt, aber wenn sie es in der richtigen
Kleidung tut, wird es keinen großen Skandal geben.«
»Ich kann
dir nicht zustimmen.«
»Quatsch!
Ich frage nicht nach deiner Erlaubnis, Minerva. Ich bin jetzt eine verheiratete
Frau, und wenn du mir nicht helfen willst, dann schicke ich Diana eben selbst
ein Jagdkostüm. Aber wenn du es schicken würdest, wäre die Wirkung viel
größer. Oh, ich glaube nicht, daß die arme Diana je heiratet. Sie hat gesagt,
daß sie Männer nicht ausstehen kann. «
Minerva
protestierte weiter, doch die schöne und gewöhnlich sanfte Daphne konnte
äußerst hartnäckig sein. Und als aus dem Kinderzimmer Lärm und Weinen zu hören
war, sagte Minerva plötzlich ungeduldig: »Also gut. Wenn es Diana wirklich so
schlecht geht, wie du sagst ... Es wird wohl nicht so furchtbar schockierend
sein, wenn sie mit der Meute ihres Vaters in einer Landgemeinde auf die Jagd
geht. Ich muß nach den Kindern sehen. Ja, Daphne, ich werde so bald wie möglich
ein Reitkostüm bestellen.«
Diana
wanderte ziellos
durch die Landschaft. Obwohl es sie immer in Richtung Saxon Mere zog, bog sie
vorher ab und ging in die entgegengesetzte Richtung. Sie hatte gehört, daß Mr.
Emberton in das Wentwater-Haus zurückgekehrt sei, aber
er war noch nicht in der Kirche gewesen, und man sah ihn oft in Hopeminster
drüben. Es ging das Gerücht, daß Lord Dantrey Miß Carter den Hof machte. Diana
fühlte sich sehr einsam. Ihr Vater war ihr fremd und innerlich fern geworden.
Normalerweise hätte sie sich an Squire Radford gewandt, aber sie gab dem
kleinen Squire die Schuld an Fredericas Verbannung in die Schule und an der
Beendigung ihrer Jagdfreuden.
Als sie von
einem langen Spaziergang zurückkehrte, spürte sie einen etwas wärmeren
Windhauch im Gesicht. Das Ende des Frostes, der das Land schon so lange mit
eisernem Griff festgehalten hatte, kündigte sich an. Die Hunde heulten in den
Zwingern, auch sie spürten die Wiederkehr von gutem Jagdwetter. Diana sah eine
dünne Rauchspirale aus einer Baumgruppe aufsteigen und hielt den Schritt an.
Zigeuner! Sie ging ein bißchen näher und blieb dann beobachtend stehen. Die
alte Frau, die die Ankunft von Jack Emberton prophezeit hatte, rührte in einem
Eisentopf herum, der über dem Feuer hing. Sie schaute auf und winkte Diana zu
sich.
»Ich bin
dem dunklen und gutaussehenden Mann begegnet, von dem Sie gesprochen haben«,
sagte Diana
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