Diana - sTdH 5
ihre
Mutter wirklich empfunden hatte; welche Sorgen und welche Ängste sie gehabt
hatte, und ob eine von ihnen etwas hätte tun können, um sie davon abzuhalten,
diese furchtbaren Arzneien einzunehmen.
Hoch oben
am Himmel zog der Vollmond entlang und beschien den froststarren Garten mit
seinem schimmernden Licht. Es war ganz windstill, die großen Kerzen auf dem
Toilettentisch brannten hell und klar.
Dianas Kleid
war aus grauer Seide und mit schwarzen Schleifen verziert. In ihr Haar waren
mattrosa Seidenrosen und schwarze Bänder geflochten. Sie fand, daß sie wie eine
Matrone aussah, aber Sarah gefiel sie so. Ihre Augen wirkten in dem schmalen
Gesicht riesig groß, und Sarah meinte, daß ihr die düsteren Farben viel besser
standen als irgendein modischer Pastellton, in den sich die Debütantinnen
kleideten.
Sarah legte
Diana ein Samtcape um die Schultern und schickte sie nach unten zum Squire und
ihrem Vater.
Diana war
erleichtert, als sie das traurige und stille Pfarrhaus verlassen hatten und
auf der gefrorenen, funkelnden Straße bei Vollmond und Sternenhimmel von
Hopeworth in die Kreisstadt Hopeminster rollten.
Der Squire
erregte durch sein altes Festgewand Bewunderung. Die Spitzen an den
Manschetten und am Kragen waren so fein wie Spinnweben. Der Pfarrer war guter
Laune, weil er entdeckt hatte, daß ihm sein Abendanzug wieder ohne Korsett
paßte, da er ja dünner geworden war. Der Squire hatte sein Haar gepudert und
das runzlige Gesicht sorgfältig geschminkt. Alte Gewohnheiten ändern sich nicht
leicht, und der Squire fühlte sich erst dann richtig für einen Ball angezogen,
wenn er gepudert und geschminkt war.
Diana
geriet allmählich in Erregung. Sie würde Mr. Emberton begegnen, seine
lachenden blauen Augen sehen und seine beruhigende Gegenwart spüren. Zugegeben,
es war seltsam, daß er es nicht fertiggebracht hatte, ihr einen Brief zu
schicken, in dem er erklärte, warum er an dem Tag, wo sie mit ihm durchbrennen wollte,
so schnell weggefahren war. Obwohl Lord Dantrey der Grund gewesen sein mußte,
wäre es doch anständig gewesen, wenigstens einen erklärenden, einen
Liebesbrief zu schicken.
Aber er
hatte sich ja wegen des Todes ihrer Mutter ferngehalten, erinnerte sich Diana
ernst. Lord Dantrey war zur Beerdigung gekommen, aber er hatte keinen Versuch
gemacht, mit ihr zu sprechen.
Ihre
Aufregung wuchs, als die Silhouetten der spitzen Türme von Hopeminster am
Horizont aufstiegen.
Die
Gesellschaft fand im Gasthaus Cock and Feathers statt. Als sie in den Hof
einbogen, konnten sie schon die Musik der Geigen und das Schlagen der Trommeln
hören. Diana war froh, daß ihre Trauer sie am Tanzen hinderte. Sie hatte zwar
Tanzunterricht gehabt, als sie in London bei ihren Schwestern gewesen war, aber
der Tanzlehrer, ein reizbarer Franzose, war nur knapp eineinhalb Meter groß
gewesen. Er hatte sie so nervös gemacht, daß sie kaum einen Schritt gelernt
hatte und nie recht wußte, welches ihr linker und welches ihr rechter Fuß war.
Der Tanzlehrer hatte ihr verschiedenfarbige Schleifen an die Schuhe gebunden,
um ihr zu helfen, aber jedesmal, wenn sie nach unten schaute, um sich an der
Farbe der Bänder zu orientieren, stolperte sie über seine Füße.
Als sie von
einer dieser Tanzstunden zu Minerva zurücckam und sie fragte: »Was heißt
denn bitte ›Merde‹?«, wurde der
Tanzunterricht rätselhafterweise sofort abgebrochen.
Diana legte
ihr Cape in einem Vorzimmer ab und zupfte vor dem Spiegel ein paar Locken zurecht.
Dabei überraschte und befriedigte sie ihr Aussehen so sehr, daß sie kaum
glauben konnte, daß die elegante Schönheit, die ihr da gegenüberstand, ihr
eigenes Spiegelbild war.
Die erste
Person, die sie beim Betreten des Ballsaales sah, war Ann Carter. Sie tanzte
gerade mit Mr. Emberton, neben dem sie noch viel zierlicher und zerbrechlicher
als sonst wirkte. Ihr Kleid war ein zartes Etwas aus rosa und silberner Gaze.
Ihr Haar glänzte im Kerzenlicht wie frisch geprägte Goldstücke, und ihre
kleinen Füße schienen den Boden kaum zu berühren.
Diana
setzte sich in eine Stuhlreihe an der Wand und fühlte sich wieder einmal wie
ein riesengroßer Trampel. Squire Radford nahm neben ihr Platz und unterhielt
sich kurz mit ihr. Dann ließ er sie allein, um ihr ein Glas Limonade zu holen.
Diana
spielte mit ihrem Fächer. Die Musik klang so fröhlich, und alle tanzten so
begeistert. Auf einmal wollte sie auch gerne tanzen und ihre Füße bei den verzwickten
Schritten der Quadrille so leicht
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