Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
doch nicht etwa unangekündigt anschleichen!«
    Beide drehten sich um, so schnell es ihre Körper erlaubten. Der Körperliche stand mehrere Dutzend Meter entfernt und war in ein dunkelgrünes, mit goldenen Fäden durchwirktes Gewand gekleidet. Hie sandte kein Signatur-Etikett aus – natürlich nicht, aber Yatima mußte sich bewußt anstrengen, um die instinktive Schlußfolgerung zu verwerfen, daß hie es gar nicht mit einer realen Person zu tun hatte. Der Körperliche hatte schwarze Haare und Augen, kupferbraune Haut und einen dichten schwarzen Bart, was bei einem Körperlichen mit ziemlicher Gewißheit auf Geschlechtlichkeit hinwies, auf Männlichkeit. ›Hie‹ war ein ›Er‹. Keine offensichtlichen Modifikationen: keine Flügel, keine Kiemen, keine photosynthetische Kappe. Yatima widerstand dem Drang zu voreiligen Schlußfolgerungen, denn dieser oberflächliche Konservatismus bewies nicht, daß er wirklich ein Statischer war.
    Der Körperliche sagte: »Ich schätze, ich werde euch keinen Händedruck zur Begrüßung anbieten.« Inoshiros Handflächen glühten immer noch stumpfrot. »Und wir können auch keine Signaturen austauschen. Ich habe keine Ahnung vom korrekten Protokoll. Aber das ist gut. Rituale korrumpieren.« Er trat ein paar Schritte vor; das Unterholz drückte sich respektvoll zu Boden, um ihm den Weg zu ebnen. »Ich bin Orlando Venetti. Willkommen in Atlanta.«
    Sie stellten sich vor. Das Interface – das vorsorglich die wahrscheinlichsten Grundsprachen geladen hatte und genügend Flexibilität besaß, um sich an Veränderungen anzupassen – hatte die Sprache des Körperlichen als Dialekt des Neu-Romanischen identifiziert. Es pflanzte ihrem Geist diese Sprache ein, impfte sämtliche Symbole mit den Klängen neuer Worte samt der Linear-Versionen und programmierte alternative grammatische Zusammenhänge in ihre Netzwerke zur Spracherkennung und -erzeugung. Yatima fühlte sich durch diesen Vorgang merklich erweitert – aber heine Symbole waren immer noch genauso wie zuvor miteinander verbunden. Hie war immer noch hie selbst.
    »Konishi-Polis? Wo genau ist das?«
    Yatima setzte zur Antwort an: »Einhundertund …« Dann unterbrach Inoshiro hie mit einer Flut von warnenden Etiketten.
    Orlando nahm es gelassen. »Ich war nur neugierig; ich wollte nicht die Koordinaten für einen Raketenangriff in Erfahrung bringen. Aber was spielt es schon für eine Rolle, woher ihr kommt, nachdem ihr nun in Fleisch und Blut hier seid. Oder in Gallium-Indium-Phosphid. Ich schätze, diese Körper waren leer, als ihr sie fandet?«
    Inoshiro war entrüstet. »Natürlich!«
    »Gut. Die Vorstellung, daß immer noch echte Gleisner über das Antlitz der Erde wandeln, ist zu schrecklich. Man hätte sie mit der Aufschrift ›Fürs Vakuum geboren‹ quer über der Brust schon ab Fabriken ausliefern sollen.«
    »Wurdest du in Atlanta geboren?« fragte Yatima.
    Orlando nickte. »Vor einhundertdreiundsechzig Jahren. Atlanta war in den Zweitausendsechshundertern verlassen – vorher gab es hier eine Gemeinschaft von Statischen, aber sie fielen einer Epidemie zum Opfer, und kein anderer Statischer wollte das Risiko eingehen, sich zu infizieren. Die neuen Gründer kamen aus Turin, darunter auch meine Großeltern.« Er runzelte leicht die Stirn. »Seid ihr gekommen, um euch die Stadt anzusehen? Oder wollen wir den ganzen Tag lang hier herumstehen?«
    Alle Hindernisse verschwanden, als Orlando vorausging. Irgendwie schienen die Pflanzen seine Gegenwart zu spüren, auf jeden Fall reagierten sie unverzüglich: Blätter rollten sich zusammen, Dornen wurden wie die Fühler einer Schnecke eingezogen, ausladende Sträucher ballten sich zu festen Bündeln zusammen, und ganze Äste hingen plötzlich schlaff zu Boden. Yatima vermutete, daß er die Wirkung absichtlich erweiterte, um sie beide einzuschließen, und hie bezweifelte nicht, daß Orlando jeden unerwünschten Verfolger weit hinter sich gelassen hätte – oder zumindest jeden, der nicht über die gleichen molekularen Schlüssel verfügte.
    Yatima fragte halb im Scherz: »Gibt es hier irgendwo Treibsand?«
    »Nicht, wenn ihr in meiner Nähe bleibt.«
    Der Wald endete unerwartet plötzlich; der Rand schien eher noch dichter bewachsen zu sein als das Innere, was den Übergang sehr gut verbarg. Sie traten auf eine große, helle und freie Ebene, die größtenteils von Feldern mit Gemüse und Photovoltaik bedeckt war. Die Stadt lag in der Ferne, eine weitläufige Anhäufung von niedrigen

Weitere Kostenlose Bücher