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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Objekts, das in ein Bohrloch mitten durch das Schwerkraftzentrum eines Asteroiden fiel, gehorchte im wesentlichen derselben Mathematik wie die Bewegung eines Objekts, das mit einem Ende einer idealisierten Sprungfeder verbunden war – doch wenn man das eine Modell zu sehr als Metapher für das andere strapazierte, kam nur Unsinn heraus. Der Erfolg des Kozuch-Modells konnte an der Tatsache liegen, daß es lediglich eine sehr gute Metapher darstellte, die zumindest in vielen Fällen funktionierte – eine Metapher für einen grundlegenderen physikalischen Prozeß, der sich in Wirklichkeit genauso von mehrdimensionalen Wurmlöchern unterschied wie eine Sprungfeder von einem Asteroiden.
    Das Problem war, daß diese Schlußfolgerung viel zu gut der vorherrschenden Stimmung in C-Z entsprach: die gegenseitigen Vorwürfe wegen der gescheiterten Hoffnung, Wurmlöcher zu interstellaren Reisen zu benutzen, die Reaktion gegen den zunehmenden Rückzug der anderen Poleis aus der physikalischen Welt und die immer populärere Doktrin, daß man deren Weg nur dann vermeiden könnte, wenn die C-Z-Kultur fest am Felsen der unmittelbaren Erfahrung der körperlichen Vorfahren verankert und alles andere als metaphysisches Hirngespinst verworfen wurde. In diesem geistigen Klima mußten Kozuchs sechs zusätzliche Dimensionen einfach als das Resultat eines vorübergehenden Mißverständnisses dessen erscheinen, was wirklich vor sich ging.
    Blanca hatte ursprünglich geplant, sich diesem Problem nicht länger als zwanzig oder dreißig Megatau zu widmen, um dann den Rest der Reise zu schlafen und sich damit zufriedenzugeben, daß hie sich ausführlich genug darum bemüht hatte, genau zu verstehen, wie schwierig es sein mußte, eine Lösung zu finden. Damit wollte hie sich gegen die allzu große Hoffnung wappnen, Gabriel aus seiner Depression nach dem Wurmloch-Mißerfolg heraushelfen zu können, obwohl hie sich natürlich ausgemalt hatte, ihn beim Aufwachen mit der Neuigkeit zu begrüßen, daß sein erschütterndes ›Versagen‹ in den Schlüssel zur Physik der nächsten zweitausend Jahre transformiert worden war. Doch die Tatsache blieb bestehen, daß Renata Kozuch ein Universum von unübertroffener Eleganz geschaffen hatte, das von einer Reihe ökonomischer und harmonischer Gesetze beherrscht wurde – während die Bulletins von der Erde diese wunderbare Schöpfung allmählich als schrecklichen Fehler diskriminierten, genauso katastrophal wie die ptolemäischen Epizyklen, genauso unsinnig wie das Phlogiston und der Äther. Blanca war der Ansicht, daß Kozuch eine leidenschaftliche Verteidigung verdient hatte.
    Hie aktivierte heinen Kozuch-Avatar, worauf ein Bild der vor langer Zeit gestorbenen Körperlichen neben ihr in der Landschaft erschien. Kozuch war eine dunkelhaarige Frau gewesen, kleiner als der Durchschnitt und zweiundsechzig Jahre alt, als sie ihr Meisterstück veröffentlicht hatte – ein ungewöhnliches Alter für eine spektakuläre wissenschaftliche Leistung, zumindest in jenem Zeitalter. Der Avatar war nicht bewußt und erst recht keine präzise Rekonstruktion von Kozuchs Geist. Sie war in den frühen Jahren des Introdus gestorben, und niemand wußte genau, warum sie es abgelehnt hatte, sich scannen zu lassen. Die Software hatte jedoch Zugriff auf ihre publizierten Ansichten zu einer großen Auswahl von Themen, und sie konnte bis zu einem gewissen Grad zwischen den Zeilen lesen, um daraus eine begrenzte Menge von impliziten Informationen zu extrahieren.
    Blanca fragte zum siebenunddreißigsten Mal: »Wie lang kann ein Wurmloch sein?«
    »So lang wie der halbe Umfang der Standard-Faser.« Es war nicht unrealistisch, daß der Avatar eine Spur von Ungeduld in Kozuchs Stimme legte. Und obwohl die Antwort erfindungsreich variiert wurde, lief sie immer auf dasselbe hinaus: etwa fünf mal zehn hoch minus fünfunddreißig Meter.
    »Der Standard-Faser?« Der Avatar warf ihr einen Blick zu, der Verzweiflung ausdrücken sollte, doch Blanca bat hartnäckig: »Erklär es mir noch einmal.« Hie mußte zu den Grundlagen zurückkehren und noch erneut die Grundvoraussetzungen des Modells überprüfen, um dann eine Möglichkeit zu finden, sie so zu modifizieren, daß das Distanzproblem gelöst wurde, aber die fundamentale Symmetrie der Wurmloch-Öffnungen intakt blieb.
    Der Avatar gab nach; am Ende kooperierte er jedesmal, ganz gleich, ob Kozuch selbst es ebenfalls getan hätte. »Beginnen wir mit einem zweidimensionalen raumähnlichen Schnitt

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