Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
wurde, ohne daß sie seit dem Augenblick des Klonens aktiviert worden war, wäre das kein Verlust, kein Tod. Viele Bürger hatte ihr Exo-Ich außerdem darauf programmiert, nur dann aktiviert zu werden, wenn sich ein Zielsystem als hinreichend interessant erwies, um sogar die Gefahr der Enttäuschung auszuschließen.
    Das andere Extrem waren zweiundneunzig Bürger, die jede der tausend Reisen miterleben wollten, und obwohl einige schnell genug lebten, um jede Reise auf ein paar Megatau zusammenschrumpfen zu lassen, hatten sich die meisten dem merkwürdigen Glauben verschrieben, daß nur durch die subjektive Zeiterfahrung der Körperlichen eine ›authentische‹ Interaktion mit der physikalischen Welt möglich war. Sie waren diejenigen, die die schwerfälligsten Vademecums benötigen, damit sie nicht dem Wahnsinn verfielen.
    »Und? Was gibt es Neues? Was habe ich verpaßt?« Blanca zeigte sich nicht häufiger als ein- oder zweimal pro Jahr auf der Hülle, so daß die Osvalds annehmen mußten, hie würde den Rest der Zeit in eingefrorenem Zustand verbringen. Da hie sich entschieden hatte, nur auf dieser Reise wach zu sein, der kürzesten aller Reisen, mußte eine derartige Verwässerung der Diaspora-Erfahrung heinen Mitpassagieren als sehr konsequent, wenn auch nicht unbedingt lobenswert erscheinen.
    Merak erhob sich auf den Hinterbeinen und runzelte liebenswürdig die Stirn, während die Adern unter der violetten Haut ihrer Kehle immer noch sichtlich als Nachwirkung des Sprints pulsierten. »Du errätst es wirklich nicht? Prokyon hat sich um fast ein sechstel Grad verschoben, seit du zuletzt hier warst! Und Alpha Centauri um mehr als das Doppelte!« Sie schloß die Augen und war für einen Moment zu selig, um fortfahren zu können. »Fühlst du es nicht, Blanca? Du mußt es fühlen! Dieses exquisite parallaktische Gefühl, sich in drei Dimensionen zwischen den Sternen zu bewegen …«
    Blanca hatte die Bürger, die dieses Vademecum benutzten – die meisten waren Sternenwelpen, aber nicht alle –, für sich als ›Osvalds‹ bezeichnet, nach der Figur in Ibsens Gespenster, die das Stück mit einem endlos und sinnlos wiederholten ›Die Sonne. Die Sonne‹ beschließt. Die Sterne. Die Sterne. Wenn sie nicht sprachlos vor Entzücken über Parallaxenverschiebungen waren, ließen sie sich von den Fluktuationen veränderlicher Sterne oder den langsamen Umlaufbahnen einiger problemlos auflösbarer Doppelsternsysteme faszinieren. Die Polis war zu klein, um über ernsthafte astronomische Beobachtungsmöglichkeiten zu verfügen, und die Sternenwelpen hielten sich ohnehin sklavisch an ihr begrenztes, pseudo-biologisches Sehvermögen. Doch sie sonnten sich im Sternenlicht und schwärmten von den unermeßlichen Entfernungen und gewaltigen Zeitmaßstäben der Reise, weil sie ihre Geister so modifiziert hatten, um jedes Detail der Erfahrung so angenehm wie möglich zu erleben, so faszinierend und bedeutungsvoll wie möglich.
    Blanca blieb einige Kilotau lang und ließ sich von Enif, Alnath und Merak rings um das imaginäre Raumschiff führen, wobei sie hie Hunderte winziger Veränderungen am Himmel zeigten und erklärten, was sie bedeuteten, und immer wieder anhielten, um mit hie vor ihren Freunden zu prahlen. Als hie schließlich andeutete, daß heine Zeit fast vorüber war, führten sie hie zum Bug und starrten ehrfürchtig auf ihr Ziel. Nach einem Jahr war Fomalhaut noch nicht merklich heller geworden, und es gab keine Sterne in der Nähe, die fortgedriftet wären. So mußte selbst Merak zugeben, daß es hier nicht viel Aufregendes zu sehen gab.
    Blanca brachte es nicht übers Herz, sie darauf hinzuweisen, daß sie freiwillig auf die Wahrnehmung des spektakulärsten Effekts der Reise verzichtet hatten: Bei acht Prozent der Lichtgeschwindigkeit war der Regenbogen der Doppler-Verschiebung, der sich um Fomalhaut gebildet hatte, viel zu schwach, um ihn mit bloßem Auge wahrzunehmen. Die Landschaft basierte auf Daten von Kameras, deren Auflösung in den Bereich der Sub-Ångström-Wellenlängen hinabreichte und die für einzelne Photonen empfindlich waren, so daß der entsprechende Anblick aufgerufen werden konnte, doch die Vorstellung, ihre Körperlichkeit zu verraten, um diese Information direkt zu absorbieren, oder auch nur einen Falschfarben-Himmel zu konstruieren, um den Dopplereffekt über die Wahrnehmungsschwelle hinaus zu verstärken, hätte sie entsetzt. Sie erlebten die Reise mit den unvollkommenen Sinnen plausibler

Weitere Kostenlose Bücher